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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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was taten sonst die allgegenwärtigen Fischer an den Ufern? Oft, wenn er sich durch ein Urwalddickicht schlug, fand er sich in einer wie neuenglischen Wochenendsiedlung, wo nicht wenige der weißgestrichenen Holzhäuser aber ständig bewohnt schienen, Rauch trieb dort aus den Rauchfängen westwärts, auf den Veranden, neben Schaukelstühlen, flatterte Wäsche, wie von ganzen Familien, ja Generationen, und dazwischen flappten Putzlappen und Bettvorleger oder was auch immer. Die aus der Auenwildnis herausgerodeten Gärten wurden hier und dort vorfrühlingshaft geharkt, wobei sich die Harken stellenweise anhörten, als träfen sie auf noch gefrorenen Boden. Nicht bloß bearbeitet wurden manche der Gärten, sondern darüber hinaus erweitert: die Rodungen setzten sich fort. Bäume wurden gefällt, ob das nun erlaubt war oder nicht, und zwar weniger mit Motorsägen als mit Äxten, was bei den meist eher dünnen Aubäumen auch praktischer war. Wurzelwerk – in der Regel flaches – mit Schaufeln, Krampen und Zeppinen (alte Wörter kamen zurück) ausgegraben und auf einen Haufen gestapelt, in seiner Vorstellung für ein Osterfeuer – die trockenen Schwämme an den Stämmen würden als der Zunder dienen. Und jedesmal, von Siedlung zu Siedlung, die dir alle bald nichts Wochenendhaftes mehr hatten, waren mehrere, oder wenigstens zwei, drei, beim Bäumezersägen, Brennholzhacken – als stünde der Winter, ein gar nordischer, noch bevor –, Hausweißen, Wasserleitunggraben, wohl der schwersten der Arbeiten. Ganze Schneisen wurden durch das Auenunterholz getrieben, und die Gärten, ohne Zäune, schoben sich zusehends tiefer hinein. Keine Blumen oder gar Ziersträucher würden da gepflanzt werden. Keine Gärten wären das dann, sondern Land. Diese Siedlungsleute, ausgehend von den früheren Wochenendhütten ( vikendice heißen die bei uns auf dem Balkan), waren dabei, dem Auengestrüpp Land abzugewinnen. Aber was bedeuteten die Boote, keine bloßen Fischer-, sondern regelrechte Hausboote, aufgebockt in vielen der Gärten, und auch sie dabei, wie die Häuser, abgeschabt, geschmirgelt, gefärbelt zu werden, nur eben nicht weiß? War das für das nächste Jahrhunderthochwasser, das inzwischen schon in jedem Jahrzehnt, auch Jahrfünft drohte?
    So schwer den Auensiedlern von der Mühsal auch die Köpfe sein mochten: Wenn er sie bei seinem Vorbeikommen grüßte – und es drängte ihn, sie zu grüßen, er hatte, angekommen im Land, ein Bedürfnis danach blickten sie dir auf, auch die, welche mit Musikknöpfen in den Ohren werkten, und erwiderten höchst selbstverständlich seinen Gruß. Ebenso kamen sie mit ihm ins Gespräch über Wind und Wetter, über die dementsprechenden Sä- und Pflanzzeiten, ohne sich zu wundern, daß er, ein einzelner (eine Seltenheit), zu Fuß, mit einem Koffer, den er als Rucksack trug, zwischen ihren Rodungen kurvte. Nicht nur einmal wurde ihm angetragen, mitanzupacken, gegen Bezahlung, versteht sich, und wenn sich das sozusagen im Vorübergehen tun ließ, ein Sofa schleppen, einen irgendwo steckengebliebenen Lastkarren anschieben, tat er das auch, und ließ sich einmal, und wenn nur in kleinster Münze, bezahlen. Und es fiel ihm dann auf, daß er erwartet hatte, diese Leute würden eine andere Sprache sprechen, nicht deutsch, und wenn deutsch, so ein fremdes, ein ungewohntes, ein womöglich altertümliches, eine Art Wolga-, Amazonas-, Mississippi, Yukon-, oder, warum nicht, Kongo-Deutsch. Aber sie redeten allesamt, weißt du, im österreichischen, ja wienerischen Dialekt, ob das nun der von Erdberg, von Kaiserebersdorf, von Simmering, von Siebenhirten, von Hietzing?, nein, der nicht, von Liesing?, nein, der auch nicht, von Hütteldorf?, nein, von Ottakring?, nein, von Grinzing?, von Döbling?, nein, vom Inneren Bezirk?, der schon gar nicht, bewahre, von Unter St. Veit, ja von Ober St. Veit war. Und trotzdem mutmaßte er, es seien unter ihnen auch einige der aus der Enklave von Porodin Ausgewanderten, die anfangs mit ihm im Bus gefahren waren: sie hätten sich hier im Überschwemmungsgebiet eingewurzelt und im Handumdrehen die Einheimischensprache angenommen, zumindest oberflächlich, was bei der ortsüblichen Mundart ja gar nicht so schwierig war. Seltsam die sporadisch zwischen all den Neu- und Umsiedlern anzutreffenden Wochenendhäusler, wie man sie zu kennen glaubte, oder wie sie im Buche standen: Sie mähten Rasen, auch wenn da keiner zu mähen war, grillten selbstgefangene Fische, finger- bis

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