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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Während hier der Champagner in Strömen fließt und
die da drinnen sich vor Trunkenheit kaum noch auf den Beinen halten können,
werden junge Männer, die an Gleichheit und Brüderlichkeit geglaubt haben, auf
den Straßen zusammengeschlagen.»
    Quin machte keinen Versuch, sie zu
trösten. Er war so zornig wie sie, aber seine Stimme war völlig beherrscht.
«Ich will Sie nicht darauf hinweisen, daß die Menschen Ihres Volkes – wenn wir
das Wort einmal in einem anderen Sinn gebrauchen – zu Tausenden auf dem
Heldenplatz standen und Hitler entgegenjubelten. Aber dies eine will ich Ihnen
doch sagen: Wenn Sie die jungen Leute verhöhnen, die Sie hier gesehen haben,
begehen Sie nicht nur eine Ungezogenheit; Sie begehen eine Ungerechtigkeit,
derer Sie sich noch zutiefst schämen werden – und sehr bald schon. Denn genau
diese dummen Lackaffen sind es, die in den Kampf ziehen werden, wenn es zum
Krieg kommen sollte. Sie werden sich dem Bösen entgegenstellen, das Hitler
ist, wenn auch nur aus Jux und Tollerei. Der Junge, der zuviel getrunken hat und
hingefallen ist, hat gerade Sandhurst absolviert. Er ist Ann Rothieys einziger
Sohn, und wenn es zum Krieg kommt, werden ihm wahrscheinlich keine sechs Monate
gegönnt sein. Sein Freund – der, der ihm den Champagner ins Gesicht gekippt hat
– ist Leutnant bei der Marineinfanterie. Er ist mit dem Mädchen in dem blauen
Kleid verlobt, und sie haben die Hochzeit vorverlegt, weil er nach Übersee
versetzt wird. Die Bainbridge-Zwillinge – die beiden, die keinen Walzer mögen –
sind bei der Air Force. Alle beide. Ich würde ihnen vielleicht ein Jahr geben,
weil sie hervorragende Piloten sind, aber mehr ganz gewiß nicht. Wenn Sie
nächstes Jahr oder das Jahr danach in dieses Zimmer schauen, werden Sie ein
Zimmer voller Gespenster sehen – voll toter Männer und weinender Frauen.
Während Ihr Heini, vermute ich, immer noch seine Arpeggios üben wird.»
    «Nein!» Ihre Stimme war kaum zu
hören. Sie schaffte es nicht, den Schutz des Baums zu verlassen. «Ich habe
heute abend einen Anruf bekommen. Sie haben ihn gefangen. Heini ist in einem
Lager.»

21
    «Ich kann nicht», sagte Heini mit erstickter Stimme.
«Ich kann das nicht.»
    Das rote Gesicht des Aufsehers mit
dem brutalen Kinn und den kleinen blauen Augen schob sich dicht vor das Heinis.
«Oh doch, das können Sie. Sie werden gleich merken, daß Sie das können.»
    Heini sah das Blitzen des Messers in
der Hand des Mannes und begriff, daß er geschlagen war. Nicht einmal einen
Kartoffelschäler gab es – man erwartete von ihm, daß er drei Eimer voll
Kartoffeln unter fließendem kalten Wasser schälte. Er hatte ihnen erklärt, daß
er Pianist war, daß er seine Hände brauchte, daß sie sein Lebensunterhalt
waren; aber keiner hatte ihm zugehört, keinen interessierte das. Ein Abrutschen
der Klinge, und er würde vielleicht wochenlang nicht üben können.
    Meierwitz neben ihm hatte bereits
angefangen. Säuberlich schnitt er die schwarzen Augen heraus und ließ die
nackten Kartoffeln ins Wasser fallen. Aber bei Meierwitz war das auch etwas
anderes; er kam aus einem Arbeiterviertel im Ruhrgebiet; Meierwitz war harte
körperliche Arbeit gewöhnt; er pfiff bei der Arbeit vergnügt vor sich hin und
machte Heini auf ein Rotkehlchen aufmerksam, das auf einem Zaunpfahl saß und
sie beobachtete.
    Für Heini waren die grauen Felder,
der graue Himmel, das Murmeln des Meeres auf dem eine Meile entfernten
Kiesstrand nur trostlos, alptraumhaft. Die lethargischen schwarz-weißen Kühe,
die jenseits der Stacheldrahtumzäunung des Lagers weideten, hätten Kreaturen
aus dem Hades sein können. Es war sein dritter Tag in der Gefangenschaft, und
er wußte jetzt schon, daß er diese Strapazen nicht aushalten würde. Die Männer
schliefen zu sechst in einer Baracke; sie standen um sieben Uhr auf und wuschen
sich in eisiger Kälte; zum Frühstück gab es Porridge, von dem er gehört, den er
aber nie gesehen hatte, und Tee, immer Tee, Tee, Tee – niemals auch nur
eine einzige Tasse Kaffee. Dann folgten die fürchterlichen Arbeiten –
Kartoffelschälen, Gemüseschnipseln, lauter Dinge, bei denen er sich die Hände
verletzen konnte, und abends der nervtötende Krach von Mundharmonikas oder des
Radios oder von Leuten, die um Streichhölzer pokerten. Und jetzt sollten auch
noch Vorträge eingeführt werden, deren Besuch man zur Pflicht machen wollte,
und am vergangenen Abend hatte man ihnen einen Film vorgeführt, in dem ein
vertrottelter

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