Die Morgengabe
Er sah älter und
klüger aus, aber er gehörte dazu.
Verena blickte mit einem koketten
Augenaufschlag zu ihm auf, und er neigte aufmerksam den Kopf, als sie etwas
sagte, während die alten Damen befriedigt nickten. Es schien wahr zu sein, was
alle sagten – daß er Verena heiraten würde. Sie deutete auf etwas auf dem
Boden, und er bückte sich, um es aufzuheben, und reichte es ihr mit einer
galanten Verneigung. Eine Rose aus ihrem ungewöhnlichen Kopfschmuck! Quin als
Rosenkavalier– grotesk! Ein Mann, der aus dem Stadtpark gerannt war, als wäre
Musik schlimmer als die Pest.
Als hätten sie ihre Gedanken
erspürt, stimmten die drei ernsthaften, dunkelgekleideten Männer auf dem
Podium einen Walzer an. Nicht Strauß, sondern Lanner, den sie ebensosehr
liebte. Sie kannte das Stück gut, sie hatte im Wienerwald mit Heini zu dieser
Musik getanzt.
«Ach nein! Doch nicht diese ollen
Kamellen!» Sie hörte den geringschätzigen Ton des blonden jungen Mannes mit dem
gestriegelten Haar ganz deutlich. «Spielen Sie doch was Anständiges!» Ein
zweiter junger Mann, fast das genaue Abbild des ersten, torkelte kopfschüttelnd
zum Podium.
Aber die Band spielte verbissen
weiter; spielte vielleicht nicht sehr gut, aber gewissenhaft, und die jungen
Männer gaben nach und zogen ihre Mädchen auf die Tanzfläche hinaus, wo sie den
anmutigen Schwung des Walzers parodierten, die Schritte übertrieben. Die
meisten waren inzwischen betrunken, sie machten sich einen Spaß daraus,
Zusammenstöße zu provozieren, die Musik eines anderen Landes zu verspotten.
Einer von ihnen stolperte und wäre beinahe gefallen – ein hochaufgeschossener
Junge mit schwarzen Locken, und das war nun wirklich komisch. Seine Partnerin
versuchte, ihn hochzuziehen, und dann kippte ihm ein rothaariger Junge mit
Sommersprossen Champagner ins Gesicht. Es war ja alles so lustig. Zum
Kaputtlachen ...
Der Stein lag in ihrer Hand, noch
ehe sie sich bewußt war, ihn aufgehoben zu haben. Sie mußte ihn schon früher
bemerkt haben, denn er hatte genau die richtige Größe, schwer genug, um Wirkung
zu haben, leicht genug, um von ihr mit Kraft geworfen zu werden. Der Akt des
Werfens selbst war wie eine Katharsis; dann das Klirren des zersprungenen
Glases. Ihr schien, daß sie Sekunden, beinahe Minuten wartete, aber es war
nicht so, denn als Quin, von einer ärgerlichen Gruppe junger Leute verfolgt,
auf die Terrasse herauskam, rannte sie schon über den Rasen in die Dunkelheit,
auf dem Weg zur Straße.
«Da ist sie!»
«Es ist ein Mädchen! Komm, die
schnappen wir uns!»
Dann Quins Stimme, ruhig, aber
scharf wie ein Peitschenknall. «Nein. Sie gehen jetzt alle wieder hinein. Ich
kenne das Mädchen, sie ist aus dem Dorf, und ich werde das mit ihr erledigen.»
Sie gehorchten ihm. Er hatte
gesehen, in welche Richtung sie gelaufen war, aber es bestand die Gefahr, daß
sie versuchen würde, sich im Wäldchen zu verstecken. Er wußte, daß sie nicht
entkommen konnte, denn das Wäldchen endete an einem hohen Zaun, aber es gab
dort manchmal Fallen, die die Wilderer stellten. Dennoch zwang er sich, nicht
zu laufen, solange er noch im Blickfeld des Hauses war.
Er holte sie leicht ein. Sie hatte
genau das getan, was er erwartet hatte.
«Warten Sie!» rief er. «Da im Wald
sind manchmal Fallen! Seien Sie vorsichtig!» Er sprach Deutsch,
weil er hoffte, sie dadurch zu beruhigen, und näherte sich ihr langsam.
«Bleiben Sie stehen.»
Sie war schon stehengeblieben. Sie
lehnte an einer jungen Tanne, und ihre Haltung im wechselnden Mondlicht
erinnerte an einen jungen Sankt Sebastian, der auf die Pfeile wartet.
«Ich habe für schlechte Manieren
nichts übrig», sagte Quin ruhig. «Diese Leute sind meine Gäste.»
Sie hob ruckartig den Kopf und
richtete sich auf. «Ja, genau solche Gäste, wie man sie bei Ihnen erwarten
würde – bei einem Mann, dem das ganze Meer gehört. Grölende, dumme Lackaffen,
die sich über Musik lustig machen. Wissen sie, was vorgeht? Können sie
überhaupt lesen? Haben sie gesehen, was in den Zeitungen steht? Nein, natürlich
nicht, denn sie lesen ja nur den Sportteil; welches Pferd schneller war als die
anderen. Und den Gesellschaftsklatsch, damit sie genau wissen, wer wieder mal
vor dem König geknickst hat.» Sie zitterte so heftig, daß sie nur stoßweise
sprechen konnte. «Heute – jetzt – während die da drinnen sich betrinken und
amüsieren, werden die Menschen meines Volkes zusammengetrieben und in Viehwagen
verladen und abtransportiert.
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