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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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wirklich.» Ihre Stimme brach. «Ich dachte, du wärst
in einem richtigen Lager, weißt du. Ich dachte, sie hätten dich geschnappt.»
    «Das hier ist ein richtiges Lager.
Es ist grauenvoll, Ruth.»
    «Ja – ja – aber verstehst du nicht,
ich dachte, du wärst in Dachau oder Oranienburg. Meine Mutter hat mich
angerufen, und ich konnte sie nicht richtig hören. Als ich dann erfuhr, daß du
in Sicherheit bist ... ich werde das mein Leben lang nicht vergessen.»
    Und sie würde auch ihr Leben lang
nicht vergessen, was sie gelobt hatte: Heini bis zum letzten Atemzug zu dienen
und ewige Abbitte zu leisten für jene Zeit des Verrats, als sie nicht an ihn
gedacht, sondern nur ihr Glück am Meer genossen hatte.
    «Du nimmst mich doch mit nach Hause,
nicht wahr, Ruth? Jetzt gleich?»
    «Heini, jetzt gleich geht das nicht.
Ich muß erst Dr. Friedlander erreichen – ich bin ganz sicher, er wird für dich
bürgen, aber er ist übers Wochenende weggefahren. Gleich morgen in aller Frühe
gehe ich zu ihm, und dann dauert es nur noch ein paar Tage.»
    «Ein paar Tage!» Heini hob den Kopf.
«Ruth, so lange kann ich hier nicht bleiben. Ich kann einfach nicht.»
    «Ach, bitte, Heini, Liebster! Wir
tun alles für dich – und die Leute sind doch nett hier, oder nicht? Ich hab mit
der Sekretärin gesprochen.»
    «Nett!» Aber allein ihre Anwesenheit
war so tröstlich, daß er beschloß, tapfer zu sein, und es gelang ihm sogar, das
Thema zu wechseln. «Hast du ein Klavier besorgen können?» fragte er.
    «Ja. Einen Bösendorfer.»
    «Einen
Flügel?»
    «Nein, wir haben ja nur so ein kleines
Wohnzimmer, weißt du. Aber es ist sehr schön.»
    Er war enttäuscht, aber er wollte
ihr keine Vorwürfe machen. Sie war seine Retterin.
    Sie hielten einander immer noch in
den Armen, als die Sekretärin zurückkehrte. «Sie müssen jetzt zum Bus, Miss
Berger», sagte sie. «Sie dürfen ihn nicht verpassen. Es ist der letzte.»
    Als Ruth ihren Mantel nahm, sah sie
einen Vogel, der draußen vor dem Fenster auf einem Zaunpfahl saß. «Ach, schau
doch, Heini! Ein Star! Das ist ein Omen. Das bedeutet Glück.»
    Sie zog ihn zum Fenster. Der Vogel
neigte den Kopf zur Seite und sah mit glitzernden Augen zu ihnen herüber, aber
sein Hinterteil sah etwas mitgenommen aus.
    «Er hat ein paar Schwanzfedern
verloren», bemerkte die Sekretärin. «Sieht aus, als wäre er abgestürzt.»
    «Ja.» Ruth sah es auch, aber es war
ohne Belang. Ein glückliches Omen war ein glückliches Omen.

22
    Anfang Dezember beschloß Leonie Channukka
zu feiern, das jüdische Fest des Lichts. Licht, fand sie, würde jetzt guttun.
Kurt war immer noch in Manchester, und er fehlte ihr; die Nachrichten vom
Kontinent wurden immer bedrückender, und das Wetter – feucht und neblig, nicht
das klare, frische Winterwetter, das sie aus Wien in Erinnerung hatte – schlug
einem aufs Gemüt.
    Und dann noch Heini. Heini schlief
seit einem Monat auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer und übte jeden Tag acht
Stunden auf dem Klavier. Leonie sah natürlich ein, daß das sein mußte, aber
während sie mit dem Staubtuch um ihn herumschlich, ertappte sie sich dabei, daß
sie sich über die Freunde und Verwandten früherer Klaviervirtuosen Gedanken
machte. Gab es vielleicht irgendwo in einer Mansarde in Budapest eine alte
Dame, deren Mutter einst schreiend auf die Straße hinausgestürzt war, weil sie
sich von Liszts brillanten Arpeggios gefoltert fühlte? War es den Bewohnern des
Hauses in der Rue de Rivoli gelungen, sich auf Chopins Übungsstunden
einzustellen? Was hatten diese Wiener Zimmerwirtinnen damals wirklich
empfunden, wenn Beethoven wieder einmal ein Klavier in Grund und Boden gespielt
hatte?
    Auch die Essensfrage spielte eine
Rolle. Heini hatte aus Ungarn etwas Geld mitgebracht, aber das brauchte er, um
seine Hände versichern zu lassen; auch das sah sie ein. Den Rest gab er für die
öffentlichen Verkehrsmittel aus, wenn er seine Fahrten zu Agenten und
Impresarios machte, von denen er hoffte, daß sie ihm helfen würden.
    «Es ist für Ruth», pflegte Heini mit
seinem süßen Lächeln zu sagen. «Alles, was ich tue, tue ich für Ruth.»
    Und alle akzeptierten das. Heini
hatte seine Absicht kundgetan, Ruth zu heiraten und ihr ein angenehmes Leben zu
bereiten, sobald er sich etabliert hatte; man konnte also unmöglich an ihm
herumkritisieren. Wenn er eine Stunde im Badezimmer verbrachte, so deshalb,
weil er bei den geschäftlichen Besprechungen einen guten Eindruck machen mußte;
wenn er seine

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