Die Morgengabe
Sachen herumwarf und Leonie hinter sich aufräumen ließ, so
deshalb, weil er mit seiner Musik so beschäftigt war, daß für anderes keine
Zeit blieb. Ohne Klage also paßten sich die Bewohner von Nummer 27 den neuen
Umständen seiner Anwesenheit an.
Mishak war nicht musikalisch. Er
liebte die Stille, die sanften Geräusche: den Gesang einer Drossel vor dem
Fenster; das Rauschen des Regens; das Sirren einer Sense, wenn der Rasen
gemäht wurde. Wenn Heini jetzt auf sein Klavier einhieb, war er von alledem
abgeschnitten. Er machte es sich zur Gewohnheit, noch früher aufzustehen, und
arbeitete im Garten, bis Heini aufstand, dann ging er auf lange Streifzüge.
Aber die Tage wurden kürzer, Mishak war vierundsechzig, immer häufiger trieb es
auch ihn, obwohl von Natur aus kein geselliger Mensch, ins Willow.
Paul Ziller hatte bei Heinis Ankunft
gehofft, sie würden Duette spielen, denn für Geige und Klavier gibt es sehr
vielfältige und sehr schöne Kompositionen. Doch Heini wollte sich
verständlicherweise auf eine Solokarriere konzentrieren, und da die
Schallisolierung des Hauses nicht solide genug war, um zwei übende Musiker zu
verkraften, marschierte Ziller von nun an wieder täglich mit seiner Guarneri
ins Jewish Day Center.
Auch Hilda änderte ihren Tageslauf.
Der Kustos der anthropologischen Abteilung hatte ihr mittlerweile sogar einen
Schlüssel anvertraut. Sie nahm sich Brote mit ins Museum und richtete es so
ein, daß sie immer erst nach Hause kam, wenn Fräulein Lutzenholler auf ihren
Schlafzimmerstuhl kletterte.
Daß sie der finsteren
Psychoanalytikerin noch einmal dankbar sein würden, hätte keiner von ihnen
ahnen können, aber so war es. Jeden Abend nämlich, punkt einundzwanzig Uhr
dreißig, pflegte sie mit einem langen Besen bewaffnet auf einen Stuhl zu
klettern und an die Decke ihres Schlafzimmers zu klopfen, über dem sich das Wohnzimmer der Bergers befand,
um wissen zu lassen, daß sie nun zu Bett gehen würde und die Musik aufhören
mußte.
Aber das bedeutete, daß Leonie sich
nicht über den Zustand des Herds beklagen konnte; ein Fest des Lichts war also
alles in allem dringend vonnöten, und da sie selbst nicht genau wußte, was der
Brauch vorschrieb, trug sie ihr Problem ins Willow.
«Darf ich Sie zu einem Stück Kuchen einladen?» fragte Mrs.
Weiss. Leonie nahm an und fragte die alte Dame um Rat.
«Auf jeden Fall braucht man Kerzen»,
erklärte Mrs. Weiss entschieden. «Das weiß ich. Man zündet acht Tage lang jeden
Tag eine an, und man steckt sie in eine Menora.»
«Wie soll das gehen?» fragte Dr.
Levy. «Wenn es acht Tage sind, müssen es acht Kerzen sein, und eine Menora hat
nur sieben Arme. Gebete gehören übrigens auch dazu. Meine Großmutter hat immer
gebetet.»
«Aber was hat sie gebetet?» fragte
Leonie.
Dr. Levy zuckte die Achseln, und
Ziller sagte, von Hofmann würde es sicher wissen. «Er wird gleich hier sein.»
«Wieso sollte gerade er es wissen?
Er ist doch überhaupt kein Jude», sagte Mrs. Weiss wegwerfend.
«Aber er hat doch in diesem Stück
von Isaac Bashevis Singer mitgespielt, wissen Sie nicht mehr? Der Nebbich. Das
ist ein sehr jüdisches Stück», sagte Ziller.
Von Hofmann jedoch konnte keine
klare Auskunft geben. «In dem Akt war ich nicht dabei», sagte er, «aber es ist
eine wunderschöne Feier. Alle Schauspieler waren sehr bewegt, und Steffi hat
hinterher auf dem Flohmarkt eine Menora gekauft. Ich könnte sie ja mal fragen –
sie verkauft bei Harrod's Strümpfe.»
Aber niemand wollte Steffi bemühen,
die zwar eine hervorragende Schauspielerin, aber eine äußerst langweilige Frau
war, und Miss Violet und Miss Maud, die diese Diskussion mitangehört hatten,
sagten jetzt, sie müßten langsam daran denken, die Weihnachtsdekorationen aus
dem Keller zu holen.
Leonie, die sich hier auf vertrautem
Boden fühlte, wurde munter. «Wie feiern Sie Weihnachten?» fragte sie die
Damen.
«Also, wir gehen zur Abendmesse»,
antwortete Miss Maud. «Und wir schmücken das Tea-Room und legen auf jeden Tisch
einen Stechpalmenzweig.»
«Und die Adventskränze?» fragte
Leonie.
«Die gibt es bei uns nicht»,
antwortete Miss Maud entschieden, der das bedenklich pfäffisch roch.
«Aber einen kleinen Baum mit roten
Äpfeln und einem silbernen Stern werden Sie doch haben?»
Die Damen schüttelten die Köpfe und
sagten, sie hielten nichts von solchem Aufwand.
«Aber das ist doch kein Aufwand»,
protestierte Leonie. «Das ist einfach schön.» Und schüchtern fügte sie
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