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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Thameside, mit den
Teilnehmern bekannt gemacht wurde. Den Vortrag in der Geophysikalischen
Gesellschaft jedoch besuchte sie aus persönlichen Gründen. Das Thema, «Vulkane
der Kreidezeit», glaubte sie, würde Quin interessieren, und es war jetzt ihr
vordringlichstes Ziel, außerhalb des schulischen Rahmens mit ihm
zusammenzutreffen.
    Als sie im Vortragssaal ihren Platz
einnahm, konnte sie Quin jedoch nirgends entdecken. Statt dessen saß zu ihrer
Linken ein kleiner, adretter Mann mit einem gepflegten Oberlippenbärtchen und
etwas ordinären zweifarbigen Schuhen, der sich ihr als Dr. Brille-Lamartaine
vorstellte und eine Neigung zeigte, nicht von ihrer Seite zu weichen, als sie
nach dem Vortrag in den Gesellschaftsraum ging, wo Getränke und Kanapees
warteten.
    «Ein ausgezeichneter Vortrag, nicht
wahr?» sagte Brille-Lamartaine, der, wie sich herausstellte, ein belgischer
Geologe war. «Ich hatte eigentlich erwartet, Professor Somerville hier zu
sehen, aber er scheint nicht gekommen zu sein.»
    Verena stimmte zu und fragte, woher
er den Professor kenne.
    «Ich war mit ihm in Indien. Auf
seiner letzten Expedition», antwortete Brille-Lamartaine. Er nahm sich ein Glas
Wein, verzichtete jedoch auf die Kanapees, denn in diesem Land Garnelen zu
essen, war immer ein Risiko. «Ich hatte großen Anteil daran, daß wir die Höhlen
entdeckten, wo wir unsere bedeutendsten Funde gemacht haben.» Er seufzte, denn
Milner hatte ihm an diesem Morgen etwas erzählt, das ihn tief bekümmerte.
    «Wie interessant», sagte Verena, die
wirklich begierig war, mehr zu hören. «Und hat Ihnen die Reise gefallen?»
    «Ja, ja, sehr. Natürlich hat es
Zwischenfälle gegeben ... meine Brille ging zu Bruch ... und der Proviant war
nicht das, was man hätte erwarten können. Aber Professor Somerville ist ein
großartiger Mann – eigensinnig natürlich, auf vieles, was ich ihm sagte,
wollte er einfach nicht hören, aber er ist ein großer Mann. Jetzt allerdings
wird es ihm wohl das Genick brechen.»
    «Das Genick brechen?» fragte Verena
entsetzt. «Wie meinen Sie das?»
    «Auf seine nächste Expedition nimmt
er eine Frau mit. Eine Frau zur Kulamali-Schlucht! Eine seiner Studentinnen, in
die er sich verliebt hat, anscheinend. Ich sage Ihnen, das ist das Ende. Ich
werde selbstverständlich nicht mit ihm reisen – ich weiß genau, was geschehen
wird.» Er nahm sich ein zweites Glas Wein und wischte sich, von gräßlichen
Bildern verfolgt, die schweißnasse Stirn. Eine nackte Frau, die mit lang
herabwallendem Haar, das ihren Körper nur notdürftig verdeckte, ins Zelt kroch;
die ihre Unterwäsche auf einer zwischen Dornenbäumen gespannten Leine aufhängte.
Bald würde sie von seinem Privatvermögen hören und Andeutungen machen. Von
Somerville war ja bekannt, daß er die Ehe scheute. «Ich habe großen Respekt für
den Professor», bemerkte er und rückte näher an Verena heran, die so gar keine
Ähnlichkeit mit der Lilith seiner Phantasie hatte, sondern eher an seine
unverheiratete Tante erinnerte, «aber das ist das Ende!»
    «Wirklich, Dr. Brille-Lamartaine,
sind Sie sicher, daß er eine seiner Studentinnen mitnehmen will?»
    Der Belgier nickte. «Absolut. Sein
Assistent hat es mir gestern erzählt – er genießt das volle Vertrauen des
Professors. Der Professor hat sich in eine seiner
Studentinnen verliebt, die aus sehr guter Familie kommt und angeblich eine
brillante Wissenschaftlerin ist. Es ist noch ein Geheimnis, weil nicht der
Anschein erweckt werden soll, daß er sie bevorzugt, aber im Juni will er sich ihr
erklären. Ich sage Ihnen, Frauen darf man auf diese Expeditionen nicht mitnehmen,
das ist immer eine Katastrophe, ich habe es erlebt. Da gibt es endlose
Eifersüchteleien, Intrigen – und sie tragen keine Unterwäsche.» Er leerte sein
Glas und wischte sich erneut die Stirn. «Ich bitte Sie, nichts zu sagen», fügte
er hinzu. «Oh, da ist Sir Neville Willington – würden Sie mich entschuldigen?»
    «Aber natürlich», sagte Verena.
«Selbstverständlich.»
    Sie konnte es kaum erwarten, allein
zu sein. Wenn sie überhaupt noch eine Bestätigung gebraucht hatte, so hatte sie
sie jetzt bekommen. Sie hatte ja eigentlich nie an Quin gezweifelt, aber sein
fortgesetztes Schweigen hatte sie manchmal irre gemacht. Dabei hatte er so
recht –wie konnte er sich erklären, solange sie noch seine Studentin war? Erst
in der vergangenen Woche war in Cambridge ein Professor vor die Tür gesetzt
worden, weil er sich mit einer seiner

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