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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Leonie
nervös.
    «Nein, noch nicht. Aber es wird sie
nicht wundern», versetzte Heini finster.
    «Du meine Güte! Wenn ihr gestritten
habt ... ich meine, so was kommt doch mal vor.»
    «Nein, so etwas nicht», entgegnete
Heini rätselhaft. «So etwas kommt nicht vor. Ich ziehe aus, sobald ich etwas
anderes gefunden habe.»
    Leonie war in einem Widerstreit der
Gefühle. Ruth würde niedergeschmettert sein, wenn sie von Heinis Entschluß
hörte, und Leonie hätte alles getan, um ihrer Tochter Schmerz zu ersparen.
Gleichzeitig jedoch hatte der Gedanke, daß Heini ausziehen würde, etwas
Paradiesisches. Im Wohnzimmer wieder schalten und walten zu können, wie sie
wollte, sich mittags ein Stündchen aufs Sofa legen zu können ... ins Bad
hineinzukönnen, wann man wollte!
    Da sie nicht wußte, was sie sagen
sollte, zog sie sich in die Küche zurück, wo Mishak im Katalog einer
Großgärtnerei blätterte, den ihm eine Nachbarin geliehen hatte.
    «Heini sagte gerade, er wolle
ausziehen. Ich glaube, er und Ruth haben sich fürchterlich gestritten.»
    Mishak sah auf. «Und wohin will er?»
    «Keine Ahnung. Er sagt, er will sich
ein anderes Zimmer suchen.»
    «Und wie will er das bezahlen?»
    Heini wohnte bei den Bergers natürlich
mietfrei; das Geld, das er aus Budapest mitgebracht hatte, war längst
verbraucht.
    «Ich weiß es nicht. Aber er ist sehr
entschlossen.»
    Mishak ging es wie Leonie:
paradiesische Visionen eines Lebens ohne Heini stiegen vor seinem inneren Auge
auf. Schon glaubte er, den Morgengesang der Amseln wieder zu hören, das
Rascheln des Windes in den Bäumen.
    «Meinst du, er wird etwas essen
wollen?» fragte Leonie und begann den Teig für die Pfannkuchen zu bereiten, mit
denen man, wenn man sie mit diversen Resten füllte, viele Esser für wenig Geld
verköstigen konnte. «Er war ganz außer sich.»
    «Essen wird er bestimmt»,
prophezeite Mishak und behielt recht.
    Ruth war diejenige, die kein
Abendessen wollte. Sie rief an, um Bescheid zu geben, daß sie später kommen
würde. Sie streifte ziellos durch die Straßen und rang die Hände wie eine
viktorianische Romanheldin. Sie schämte sich zu Tode und wünschte, die Erde
würde sich auftun und sie verschlucken ...
    Denn es war genau das eingetreten,
was sie in jener Nacht im Orientexpreß gefürchtet hatte. All die Bücher, die
sie am Grundlsee gelesen hatte – als hätte sie es vorausgeahnt. Sie hatten
sich ganz unverblümt geäußert, diese Fachleute mit ihren dreibändigen Werken:
Havelock Ellis und Krafft-Ebing und ein besonders beunruhigender Mann namens
Eugene Feuermann. Nicht umsonst hatten sie unzählige Kapitel dem großen Leiden
jener gewidmet, die im Liebesakt die Erfüllung suchen.
    Alles wäre besser gewesen als das,
was tatsächlich geschehen war. Es gab auch Kapitel über Nymphomanie, nicht
einmal das hätte Ruth geschreckt. Nymphomanie nahm vielleicht ein böses Ende,
aber es klang generös und hingebungsvoll. Eine Nymphomanin konnte vielleicht
erwarten, das Leben bis zur bitteren Neige auszukosten und dann zu sterben,
hingegen ...
    Warum gerade ich? dachte Ruth, wo
ich mich doch so sehr darauf gefreut habe, endlich mit ihm zusammensein zu
können. Und was wird Janet sagen? Konnte man Janet, die auf den Rücksitzen von
Automobilen so freigebig war, so etwas überhaupt erzählen?
    Das Wort dröhnte in ihren Ohren –
das grauenvolle Wort, das sie als eiskalt brandmarkte, als wäre sie ein
Geschöpf der Schneekönigin. Es hatte angefangen zu regnen, und sie zog ihre
Kapuze über den Kopf; aber das schlechte Wetter paßte zu ihrer Stimmung.
Weshalb sollte für eine Frau, der zwei ganze Kapitel und eine Serie von
Tabellen in Feuermanns Sexual
Psychopathology gewidmet
waren, je wieder die Sonne scheinen?
    Eine Stunde, zwei wanderte Ruth
durch die Straßen, dann machte sie sich, unnormal oder
nicht, auf den Heimweg. Früher oder später würde sie Heini gegenübertreten
müssen, Feigheit löste gar nichts.
    «Herein!»
    Fräulein Lutzenholler saß im
Morgenrock in ihrem Zimmer und trank eine Tasse Kakao mit runzliger Haut. Über
ihr hing ein Bild der Couch, auf der sie ihre Patienten in Breslau therapiert
hatte, in der Gasheizung zischte ein kleines blaues Flämmchen, und sie war
nicht im geringsten erfreut, Ruth zu sehen.
    «Ich wollte gerade zu Bett gehen»,
erklärte sie.
    Ruth trat ein, das Haar zerzaust,
die Augen verschwollen. «Ich weiß. Entschuldigen Sie. Und ich weiß auch, daß
Sie mir nicht helfen können, weil ich Sie ja nicht

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