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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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er das letzte Mal hiergewesen war. Noch hatte man das
Schild mit seinem Namen nicht von der Tür genommen; noch hatte man die beiden
Schlüsselringe, von denen sie einen bei der Hausmeisterin zurückgelassen hatte,
nicht beschlagnahmt.
    Sie stellte ihren Koffer neben den
Aktenschrank und ging hinüber in den kleinen Garderobenraum, in dem es auch
einen Gasring und einen Wasserkessel gab. Nebenan war ein Präparierzimmer mit
Borden voller Flaschen und einem Feldbett, auf dem manchmal Wissenschaftler
oder Laboranten ein Nickerchen machten, wenn sie sehr lange arbeiten mußten.
    «Lieber Gott, mach, daß er kommt»,
betete Ruth laut.
    Aber weshalb sollte er kommen,
dieser Engländer, der ihr nichts schuldete? Wer wußte, ob er überhaupt die
Schlüssel bekommen hatte, die sie bei der Hausmeisterin für ihn hinterlassen hatte.
Ohne zu überlegen, was sie tat, zog sie einen Hocker an den Arbeitstisch, auf
dem das Brett mit den Skeletteilen stand, und begann mit geübten Händen, die
Wirbelknochen herauszusuchen und sie von Erde und kleinen Steinchen zu
reinigen. Das Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie sich vorbeugte; sie faßte es,
drehte es im Nacken zusammen und stieß den Stiel eines Pinsels durch die
Nackenrolle. Das hatte sie von einer japanischen Kommilitonin gelernt.
    Die Stille war greifbar. Es war
früher Abend geworden; die Museumsangestellten waren alle nach Hause gegangen.
Nicht einmal die Wasserleitungen und der Aufzug machten die üblichen
Geräusche. Gewissenhaft und völlig sinnlos fuhr Ruth fort, die Knochen des
urzeitlichen Höhlenbären zu ordnen, und wartete ohne Hoffnung auf den
Engländer.
    Als sie das Knirschen des Schlüssels im Türschloß hörte,
wagte sie nicht, den Kopf zu drehen. Sie hörte die Schritte, deren Klang
erstaunlicherweise schon vertraut war, dann schob sich ein Arm über ihre
Schulter, und flüchtig fühlte sie den Stoff seines Jacketts an ihrer Wange.
    «Nein, der ist es nicht», sagte er
ruhig. «Der paßt nicht, das werden Sie gleich sehen. Sie brauchen sich nur die
Größe des Wirbellochs anzuschauen.»
    Sie lehnte sich auf ihrem Hocker
zurück und fühlte sich mit einemmal so sicher wie früher, wenn ihr
Klavierlehrer seine Hand auf die ihre gelegt und ihr bei einer schwierigen
Passage die Finger geführt hatte.
    «Wie schnell das bei Ihnen geht»,
sagte sie, während sie zusah, wie seine Finger in den Knochenfragmenten
umhersprangen. Dann fragte sie: «Und beim Konsulat haben Sie wohl kein Glück
gehabt?»
    «Nein. Aber wir bringen Sie schon
weg hier. Was ist eigentlich in der Wohnung Ihrer Eltern passiert? Konnten Sie
noch etwas retten?»
    Sie wies auf ihren Koffer. «Ja, Frau
Hautermann hat mich vorgewarnt.»
    «Die Hausmeisterin?»
    «Ja. Ich habe schnell ein paar
Sachen gepackt und bin verschwunden. Sie hatten es nicht auf mich abgesehen.
Diesmal noch nicht.»
    Er schwieg, sortierte immer noch
automatisch die Skeletteile. Dann schob er das Arbeitsbrett weg.
    «Haben Sie heute schon etwas
gegessen?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Gut. Ich habe ein Picknick
mitgebracht. Etwas ganz Besonderes. Wo wollen wir essen?»
    «Wohl am besten hier. Ich kann den
Tisch abräumen und von nebenan einen zweiten Stuhl holen.»
    «Ich habe Picknick gesagt»,
erklärte Quin streng. «In England heißt das, daß man sich irgendwo auf die Erde
setzt, vorzugsweise möglichst unbequem und im Regen. Also, wo halten wir unser
Picknick ab? In Afrika? Es gibt hier, wie ich gesehen habe, eine prachtvolle
Löwenkollektion; sie sind vielleicht ein wenig von den Motten angenagt, aber
sehr gut präpariert. Es käme auch das Amazonasgebiet in Frage. Für Anacondas
habe ich immer schon eine Schwäche gehabt, Sie nicht? Nein, Moment mal, wie
wär's mit der Arktis? Ich habe einen vorzüglichen Chablis mitgebracht, und den
trinkt man am besten gut gekühlt.»
    Ruth schüttelte den Kopf. «Der
Eisbär gehörte zu meinen Lieblingstieren, als ich noch klein war, aber ich
möchte mir keine Frostbeulen holen – sonst fallen mir womöglich noch die Brote
aus der Hand. Hätten Sie nicht Lust, ein
Stück rückwärts in der Zeit zu reisen? Zu den Dinosauriern vielleicht?»
    «Nein. Das riecht mir zu sehr nach
Arbeit. Und ich bin mit diesem Ichthyosaurus hier, ehrlich gesagt, nicht allzu
glücklich. Wer immer dieses Skelett zusammengesetzt hat, hatte eine Menge
Phantasie.»
    Ruth errötete. «Das war der alte
Schumacher. Er war schwerkrank und wollte es vor seinem Tod unbedingt noch
fertig kriegen.» Sie schwieg einen

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