Die Morgengabe
glücklich erlebt hatte. Er zog das umfangreiche
Dokument zu sich heran, zerriß es und ließ es in den Papierkorb fallen.
«Ganz abgesehen von allem anderen
ist das eine große Erleichterung – wir befanden uns nämlich auf ziemlich
unsicherem Boden. Hast du vor, nach Bowmont zu ziehen?»
«Ja. Sie gehört dorthin – sie war
nur ein paar Tage dort, aber alle erinnern sich an sie: der Schäfer, die
Hausmädchen, es ist wirklich verrückt.» Ein flüchtiger Schatten fiel auf sein
Gesicht. «Das Dumme ist nur, daß ich eine Expedition nach Afrika geplant habe.»
Doch noch während Quin sprach, wurde
ihm klar, was er tun würde. Das Klima in den Ebenen war gesund; die Reise war
nicht gefährlich – und im Notfall konnte Ruth immer in Lindi beim Commissioner und seiner Frau bleiben.
«Soll ich Ruth schreiben?»
«Nein, ich sage es ihr selber. Und
vielen Dank für deine Bemühungen, Dick. Wenn du mir die Rechnung nach Chelsea
schickst, dann erledige ich das noch, bevor ich reise.»
Er war schon an der Tür, als
Proudfoot ihn zurückrief. «Hast du noch einen Moment Zeit?»
Obwohl Quin es eilig hatte,
wegzukommen, nickte er. Dick ging zu einer Kommode an der Wand, zog eine
Schublade auf, entnahm ihr ein kleines Aquarell: eine zarte, wie gefiedert
wirkende Tamariske, jeder Pinselstrich wie ein Hauch, vor einem Hintergrund
roter Geranien.
«Das hab ich in Madeira gemalt.
Meinst du, es würde Ruth gefallen?»
«Bestimmt.»
«Gut, dann laß ich es rahmen und
schicke es ihr.»
Draußen auf der Straße sah Quin auf
seine Uhr. Ruth müßte sein Geschenk eigentlich inzwischen bekommen haben –
Cavour hatte versprochen, es sofort zu schicken. Ein wenig schwindlig vom
Schlafmangel und der Überzeugung, daß er ewig leben würde, steuerte er seinen
Wagen in Richtung Museum. Es würde keine Schwierigkeiten bereiten, noch eine
weitere Kabine auf dem Schiff zu buchen, aber er wollte doch Milner sofort
Bescheid sagen. Und wie angenehm zu wissen, daß Brille-Lamartaine, sollte er
nähere Erkundigungen einziehen, nichts als die Wahrheit erfahren würde. Denn er
nahm ja tatsächlich eine Frau mit auf die Reise, eine seiner Studentinnen, eine
junge Frau, die er leidenschaftlich liebte.
Ruth hatte nicht geglaubt, daß sie noch schlafen
könnte, nachdem sie sich von Quin getrennt hatte. Sie hatte sich leise ins Haus
geschlichen und war nur von dem Wunsch beseelt in ihr Bett geklettert, diese
ganze herrliche Nacht noch einmal zu durchleben, doch sie war augenblicklich in
einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
Als sie jetzt erwachte, hatte sich
die ganze Welt verändert. Das Schlafzimmer mit der wild gemusterten braunen
Tapete, das sie mit Tante Hilda teilte, hatte sie nie verlockt, ihren Blick
schweifen zu lassen, jetzt jedoch konnte sie sich vorstellen, mit welcher Wonne
der Designer seine Muster zu Papier gebracht hatte. Und Hilda selbst, die vor
dem kleinen Spiegel stand und sich das dünne Haar bürstete, schien Ruth die
Personifizierung des akademischen Ideals zu sein – ihr Leben lang einem Stamm
Primitiver verpflichtet, den sie niemals kennengelernt hatte, ekstatisch
angesichts einer abgebrochenen Pfeilspitze oder eines Trinkbechers. Was für
eine prachtvolle Person Tante Hilda war, wie dankbar Ruth sein konnte, ihre
Nichte zu sein!
Sie schwang die Beine aus dem Bett
und lächelte den Schrumpfkopf an. Jetzt ging sie über die Keksdose unter den
Dielenbrettern, in der ihr Trauring und ihre Heiratsurkunde lagen. Bald –
vielleicht schon heute – konnte sie sie herausholen und ihrer Mutter zeigen.
«Ich bin verheiratet, Mama», würde
sie sagen. «Ich bin mit Professor Somerville verheiratet, und ich liebe ihn
abgöttisch, und er liebt mich.»
Sie schlüpfte in ihren Morgenrock
und ging zum Fenster, und auch hier lachte ihr eine Schönheit entgegen, die sie
nie zuvor wahrgenommen hatte. Gewiß, der Gasometer stand immer noch dort, aber ebenso die Platane im
Nachbargarten, mit rußiger Rinde zwar und einem abgestorbenen Ast, jedoch in
der ganzen Pracht der mutigen jungen Blättchen!
Auf der Treppe traf sie das finstere
Fräulein Lutzenholler mit ihrem Kulturbeutel in der Hand. «Er ist im Bad»,
brummte sie.
Ruth brauchte nicht zu fragen, wen
sie meinte. Es war immer Heini, der im Bad war. An diesem Morgen jedoch
verteidigte sie Heini nicht, dazu liebte sie Fräulein Lutzenholler viel zu
sehr, die mit allem so recht gehabt hatte: Die gesagt hatte, daß wir das
verlieren, was wir verlieren wollen, das vergessen,
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