Die Morgengabe
sie gewundert, aber sie hatte nichts dagegen.
Wenn sie später doch zur Vorlesung ging, mußte sie achtgeben, daß sie nicht in
den Saal schwebte und über die Wasserkaraffe hinweg direkt in seine Arme flog.
Sie saß noch mit ihren Träumen
beschäftigt bei einer zweiten Tasse Kaffee, als es draußen läutete. Einen
Moment lang meinte sie, es müßte Quin sein und schüttelte in einer unbewußten
Geste der Koketterie ihr Haar aus. Aber das war albern; Quin hatte gesagt, er
habe etwas Wichtiges zu erledigen, als er sich von ihr getrennt hatte.
«Ach, geh doch mal hinunter, Kind»,
sagte Leonie. «Ziller ist nicht da – er ist üben gegangen. Vielleicht ist es
der Mäusefänger», fügte sie optimistisch hinzu.
Aber es war nicht der Mäusefänger.
Ein Bote in dunkelblauer Uniform mit Schirmmütze stand vor der Tür. Er mußte
mit dem Lieferwagen gekommen sein, der, ebenfalls dunkelblau, am Straßenrand
parkte. «Cavour und Stattersley» stand in verschnörkelter Schrift auf der Seite
des Wagens, und darüber glänzte eine goldene Krone.
«Ich habe ein Päckchen für Miss Ruth
Berger. Ich soll es ihr persönlich übergeben.»
«Ich bin Ruth Berger.»
«Haben Sie einen Ausweis?»
Ruth, die noch im Morgenrock war,
seufzte. «Ich kann hinaufgehen und einen Brief holen oder so etwas. Aber ich
erwarte gar nichts. Sind Sie sicher, daß das für mich ist?»
«Aber ja. Es ist eine
Expreßlieferung. Das Päckchen soll nur persönlich übergeben werden, und ich
mußte unverzüglich hierher fahren. Und außerdem mit dem Panzerwagen, den nehmen
wir nur, wenn die Lieferung viel Geld wert ist.»
«Ich glaube, das ist ein
Mißverständnis», sagte Ruth verwirrt.
Doch jetzt beugte sich der Fahrer
aus dem Lieferwagen und rief: «Es ist schon in Ordnung, ich hab hier eine
Beschreibung. Du kannst das Päckchen abgeben – laß sie nur unterschreiben.»
Ruth nahm das Päckchen und
unterschrieb. Immer noch verwirrt sagte sie: «Es tut mir leid, ich kann Ihnen
nicht einmal ein Trinkgeld geben – aber trotzdem vielen Dank. Nur, wenn es doch
ein Mißverständnis sein sollte ...?»
«Dann wenden Sie sich an Cavour und
Stattersley. Die können Ihnen die Sache dann umtauschen.»
Der Lieferwagen fuhr ab. Ruth
öffnete das Päckchen. Im ersten Moment begriff sie nicht, was sie sah: ein
Halsband aus grünen Steinen, jeder in Brillanten gefaßt, Glied um Glied mit
einer goldenen Kette verbunden. Smaragde, so grün wie das Meer, wie die Augen
des Buddha, einer so schön wie der andere.
Dann begriff sie plötzlich. Dies war
ein Geschenk – eine Morgengabe, die ihr mit Eilboten gesandt worden war, damit
sie sie noch am Morgen nach der Brautnacht erreichte. Eine Morgengabe von
obszöner Kostbarkeit, weil Quin großzügig war und sie nicht mit billigem
Plunder abfinden wollte, jedoch nicht mißzuverstehen in ihrer Bedeutung.
«Das Wort kommt aus dem Lateinischen matrimonium ad morganaticum», hatte Quin im Stadtpark erklärt und ihr
den Begriff der morganatischen Ehe erläutert. «Es ist eine Ehe, die auf der
Morgengabe beruht, mit der der Ehemann sich von jeglicher Verantwortung seiner
Frau gegenüber loskauft. In einer solchen morganatischen Ehe hat die Ehefrau
keinen Anteil an den Pflichten und der Verantwortung ihres Ehemanns, und die
gemeinsamen Kinder erben nicht.»
Deshalb hatte er sie gedrängt, heute
morgen zu Hause zu bleiben; damit er sicher sein konnte, daß sie seine
Morgengabe erhalten und begreifen würde, daß sie in Bowmont nicht erwünscht
war. Eine Frau wie sie, Flüchtling, Ausländerin, teilweise jüdischer Herkunft,
durfte sein Bett teilen, aber nicht sein Heim. Wenn so etwas Dr. Levy geschehen
konnte, warum dann nicht auch ihr?
Sie klappte das Etui zu und schob es
in die Tasche ihres Morgenrocks. Der Schmerz traf sie körperlich, sie litt an
ihm wie an einer schweren Krankheit. Warum konnte man dem Zittern, den
Schwindelgefühlen, der schrecklichen Flauheit nicht Einhalt gebieten? Und wenn
man es schon nicht konnte, warum folgte dann nicht das nächste? Warum starb man
nicht einfach?
«Sieh dir das an!» rief Lady Plackett. «Das ist ja
unerhört! Wir müssen sofort Professor Somerville informieren, damit er das
Nötige veranlassen kann.»
In Verenas Erwartungen bezüglich
Afrika nicht eingeweiht, war sie schon lange nicht mehr so begeistert von
Quinton Somerville, der ihr nichts zu unternehmen schien, um seine Beziehung zu
ihrer Tochter zu fördern.
Verena nahm ihrer Mutter die Zeitung
aus der Hand und
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