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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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was wir vergessen wollen
... die gesagt hatte, Frigidität habe damit zu tun, ob man einen Menschen liebe
oder nicht. Ruth, in der Ekstase ihrer Nichtfrigidität, strahlte die Psychoanalytikerin
an und hätte sie geküßt, wäre nicht das Oberlippenbärtchen gewesen und das
Wissen, daß Fräulein Lutzenholler sich so früh am Morgen die Zähne noch nicht
geputzt haben konnte.
    «Beeil dich, Heini!» rief Ruth.
    Der Gedanke an Heini ließ sie innehalten.
Heini würde tief verletzt sein. Einen Moment lang verdunkelte eine Wolke ihre
Freude. Aber nur einen Moment lang. Heini würde einen anderen Star finden –
eine ganze Schar in den kommenden Jahren. Seine Liebe gehörte der Musik, und
mit Recht – und das, was in der vergangenen Nacht geschehen war, konnte man
nicht bedauern.
    Ach, Quin, dachte sie und schlang
die Arme um ihren Oberkörper, und Fräulein Lutzenholler, die voller Wut darauf
wartete, endlich das Bad benützen zu können, sah sie verblüfft an und erinnerte
sich, daß es etwas gab, dem sie in ihrem Beruf selten begegnete: Freude.
    Ruth gab die Hoffnung auf das
Badezimmer auf und ging in die Küche, wo sie alle seit Heinis Ankunft eine
Extra-Zahnbürste aufbewahrten. Ihre Mutter war dabei, den Frühstückstisch zu
decken, und Ruth blieb einen Moment an der Tür stehen und sah ihr zu. Leonie
sah müde aus, ihr Gesicht hatte Falten, die noch nicht dagewesen waren, als sie
Wien verlassen hatten, und in ihrem Haar waren graue Strähnen, aber ihre
Tochter fand sie schön. Mit der Liebe, die Ruth einhüllte, mit der Wonne an die
erinnerte Nacht stieg eine überwältigende
Dankbarkeit in ihr auf; nun endlich würde sie ihren Eltern, Onkel Mishak helfen
können.
    Ihre Mutter würde nicht in Bowmont
leben wollen – Ruth lächelte bei dem Gedanken an das brandende Meer, den kalten
Wind, die immer bewegte Luft. Ihre Eltern würden zu Besuch kommen, aber sie
würden in der Stadt leben wollen, und das konnten sie jetzt mit Komfort tun.
Sie würde an ihren Mann keine großen Ansprüche stellen – keine eleganten
Kleider, ganz bestimmt keinen Schmuck, aus dem sie sich sowieso nichts machte.
Sie würde lernen, sparsam und vernünftig zu sein, aber um einige Dinge würde
sie Quin bitten, und er würde sie ihr gewähren, das wußte sie. Ein kleines
Häuschen für Onkel Mishak – Elsie hatte ihr im Dorf eines gezeigt, das
leerstand; Besuchsrecht für ihre Freunde, wenn sie einen Ort brauchten, an dem
sie arbeiten oder sich erholen konnten; und sie würde mit ihm einmal über das
Schaf sprechen. Dafür würde sie nicht darum betteln, auf seine Reisen mitgenommen
zu werden. Es fiel ihr nicht leicht, sich vorzustellen, daß sie monatelang ohne
ihn auskommen sollte, aber sie würde es schaffen.
    Jetzt gab sie ihrer Mutter einen
Gutenmorgenkuß. «Du siehst sehr glücklich aus», sagte diese. «War es nett bei
Pilly?»
    «Ja. Es war wunderschön.»
    Ruth errötete, aber es war ihre
letzte Lüge. Sie hatten in der Nacht keine Pläne gemacht – es war eine Nacht
außerhalb der Zeit gewesen –, aber wenn sie es taten, dann würde sie ihre Ehe
nicht mehr verheimlichen, und dann brauchte sie nie wieder zu lügen.
    Sie schnitt sich gerade eine Scheibe
Brot ab, als ihr auffiel, daß ihre Mutter auf eine äußerst geräuschvolle Weise
mit dem Geschirr hantierte, die früher in Wien nichts Gutes verheißen hatte.
    «Ist etwas, Mama?»
    Leonie zuckte die Achseln. «Es ist
blöd von mir, mich so aufzuregen, ich hätte es von dieser dummen Gans erwarten
müssen. Aber ich konnte mir eben trotzdem nicht vorstellen, daß sie ihn nach
allem, was er für sie und ihre unmögliche Familie getan hat, so behandeln
würde. Wenn ich mir vorstelle, wie sie ihm im Krankenhaus nachgelaufen ist! Und
wie sie sich nach der Heirat immer Frau Doktor nennen ließ!»
    «Du sprichst wohl von Hennie, Dr.
Levys Frau?»
    Leonie nickte. «Sie hat ihm
geschrieben. Sie möchte die Scheidung. Aus rassischen Gründen. Du hättest ihn
gestern sehen sollen, er sieht zehn Jahre älter aus, und trotzdem darf keiner
ein Wort gegen sie sagen. Der Mann ist ein wahrer Heiliger.»
    Ruth schwieg betroffen. Wie konnte jemand
diesem bescheidenen, sanften Menschen wehtun – ein brillanter Arzt, ein großzügiger
Freund. Es hatte ausgesehen, als liebte Hennie ihn. Konnte der Einfluß ihrer
Familie mit ihrer fatalen Weltanschauung so stark sein?
    «Gehst du heute nicht auf die Universität?»
    «Erst später.»
    Quin hatte gesagt, sie solle sich
den Morgen freinehmen. Es hatte

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