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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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eingefallen, Dir sofort«.
    Mein Gedächtnis
    Viele Leute sagen, dass ich ein sehr gutes Gedächtnis habe. Papa sagt das, Oma und Opa sagen es, Tante G. sagt es. Dabei habe ich nur manchmal ein sehr gutes Gedächtnis. Die Stücke, die ich auf dem Klavier spiele, kann ich zum Beispiel alle im Gedächtnis behalten. Das ist aber sehr einfach, denn ich habe sie ja auch lange geübt. Andere Dinge kann ich aber gar nicht behalten. Technik-Sachen kann ich fast gar nicht behalten. Dafür aber kann ich Bilder und Kunst sehr gut behalten, sogar die Farben auf einem Bild, jede Farbe, das ganze Bild.
    Wir gingen dann noch am dunklen Moselufer entlang nach Ellenz zurück. Im »Weinhaus Fuhrmann« leuchtete überall Licht, so dass auch das »Weinhaus Fuhrmann« ein wenig aussah wie ein Weinhaus in Beilstein. Wir sind dann nicht
mehr auf unser Zimmer gegangen, sondern haben uns gleich an einen Tisch gesetzt und das Abendessen bestellt. Papa hat eine Forelle mit Butterkartoffeln und viel Salat gegessen, und ich habe Nudeln mit Tomatensauce gegessen, eine riesige, gute Portion.
    Postkarte 12
    Liebe Mama, wir haben gerade im »Weinhaus Fuhrmann« in Ellenz sehr gut zu Abend gegessen. In Beilstein nämlich wollten wir nicht zu Abend essen, weil in Beilstein so viel getanzt wurde. Von Weitem ist Beilstein sehr schön, wie im Film, von Nahem gibt es in Beilstein viel Musik und Kostüme und solche Sachen. Ich habe wieder viel an Dich gedacht, und auch Papa hat viel an Dich gedacht. Ich wünsche Dir eine gute Nacht Dein Bub

29. Juli 1963

    Am nächsten Morgen wurde ich besonders früh wach, weil die Sonne schon sehr früh in unser Zimmer schien und alles so hell war, dass ich die Augen gar nicht mehr geschlossen halten konnte. Ich habe dann im Bett etwas gelesen und darauf gewartet, dass Papa wach wurde. Auch Papa wurde viel früher wach als sonst, und dann haben wir geduscht und schon mal etwas gepackt. Als wir aber hinüber in das Haupthaus des »Weinhaus Fuhrmann« gehen wollten, um dort zu frühstücken, kamen wir an einem kleinen Saal vorbei, und als ich in den kleinen Saal hinein schaute, stand dort ein langer Tisch mit sehr vielen Stühlen. An einer Wand des Saales aber stand auch ein schwarzes Klavier, ein richtiges, ordentliches Klavier. Ich habe Papa gefragt, ob ich
das Klavier öffnen dürfe, und Papa hat »ja« gesagt, »ja«, ich dürfe nachsehen, ob man das Klavier öffnen könne, ich dürfe aber jetzt noch nicht auf dem Klavier spielen, weil es dazu noch zu früh sei. Ich ging zu dem Klavier und versuchte, es zu öffnen, und es ließ sich ganz leicht öffnen, schade war nur, dass die Tasten nicht mehr ganz weiß waren, sondern bräunlich.
     
    Drüben im Haupthaus des »Weinhaus Fuhrmann« haben wir dann gefrühstückt. Ich hatte aber keinen richtigen Hunger, und ich wollte eigentlich auch gar nicht lange frühstücken. Statt lange zu frühstücken, wollte ich lieber auf dem Klavier spielen. Papa fragte die Frau, die uns bediente, ob ich später auf dem Klavier spielen dürfe, da schaute mich die Frau an und fragte mich: »Ah, Du kannst Klavier spielen?« Ich sagte ihr, dass ich Klavier spielen könne, weil ich schon seit sieben Jahren Klavierunterricht habe, und dass ich in den sieben Jahren viele Stücke gelernt habe. »Und was spielst Du so?«, fragte die Frau. Da sagte ich der Frau, dass ich Stücke von Mozart, von Bach und von Beethoven, von Schumann und von Scarlatti und noch von vielen anderen Komponisten spielen würde. Da war die Frau sehr erstaunt und sagte »Donnerwetter!«, und dann sagte sie noch, dass sie nicht alle Komponisten kenne, die ich genannt habe, und dass es für einen Jungen in meinem Alter allerhand sei, all diese Komponisten zu kennen. »Das ist wirklich allerhand«, sagte sie, und dann sagte sie noch einmal »allerhand«. Ich wusste nicht genau, was sie mit dem »allerhand, allerhand« meinte, aber ich fragte nicht nach, um den guten Eindruck,
den ich gemacht hatte, nicht zu zerstören. Ich schwieg also einfach, und so war es einen Augenblick still. Weil es aber so still war, sagte dann Papa etwas, ihm fiel aber wohl ganz und gar nichts Neues ein, denn er wiederholte nur, was die Frau gesagt hatte und sagte: »Ja, für einen Jungen in seinem Alter ist das wirklich allerhand.«
     
    Es war ein bißchen peinlich, dass niemandem mehr etwas einfiel, deshalb bin ich einfach aufgestanden und habe gesagt, dass ich jetzt hinüber, ins Nebenhaus, gehen würde, um dort etwas Klavier zu spielen. Die Frau

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