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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Klavierspielen war das Wandern ganz anders als sonst. Weil ich nämlich Klavier gespielt hatte, hatte ich die ganze Zeit während des Wanderns noch die Musik im Kopf. Ich hörte die Musik, und ich hörte sie immer mehr, und ich konnte mir gar nichts richtig anschauen, nicht die Mosel, aber auch sonst nichts. Ich wanderte also neben Papa her und schaute nur vor mich hin, und ich hatte dauernd die Musik im Kopf. Das aber wäre noch nicht das Schlimmste gewesen, das Schlimmste aber war, dass ich dauernd an Köln und an mein Klavier und an mein Zimmer dachte, in dem mein Klavier steht. Ich dachte aber nicht nur an mein Zimmer und an mein Klavier, sondern auch an Mama. Auf einmal dachte ich sogar so stark an Mama, wie ich während unserer ganzen Moselreise nicht an sie gedacht hatte. Ich sah Mama richtig vor mir, wie sie vor dem Fenster meines Zimmers in Köln sitzt und mir beim Klavier spielen zuhört. Und als ich sie so sitzen sah und so an sie dachte, kamen mir plötzlich die Tränen. Ich bin einfach weiter gegangen und habe nichts gesagt, und ich habe versucht, die Tränen zu stoppen. Dann habe ich mir heimlich mit der Hand die Tränen abgewischt und bin weiter gegangen, aber die blöden Tränen sind einfach weiter über meine beiden Backen gerollt, ich konnte sie einfach nicht stoppen. Ich habe mit der Hand gewischt und gewischt, da aber hat Papa gemerkt,
dass mit mir etwas nicht stimmte. Papa hat mich gefragt, ob etwas mit mir nicht stimme, da habe ich aufgehört mit dem Wandern und ihm gesagt, dass ich Heimweh nach Mama und meinem Klavier habe, ganz furchtbares Heimweh.
     
    Da haben wir uns auf ein Mäuerchen an der Mosel gesetzt, und Papa hat mir eines seiner großen Taschentücher aus Stoff gegeben, und ich habe mir die Tränen abgewischt. Dann aber sind wir runter zur Mosel gegangen, und Papa hat das Taschentuch ins Moselwasser getaucht, und dann habe ich mir mit dem feuchten Taschentuch den ganzen Kopf abgewischt. Das Taschentuch war von dem Moselwasser ganz kühl, das war sehr gut, denn mein Kopf war sehr heiß, wegen des kühlen Moselwassers kühlte er dann aber langsam wieder ab.
     
    Wir haben uns dann wieder auf das Mäuerchen gesetzt, und Papa hat mich gefragt, ob wir die Moselreise abbrechen und nach Hause zurück fahren sollten. Ich habe mit dem Kopf geschüttelt, und dann habe ich »auf keinen Fall« gesagt, und dann habe ich gesagt, dass es an der Mosel wunderschön sei. Als ich das gesagt habe, musste ich aber schon wieder weinen, es war schlimm, ich wollte überhaupt nicht weinen, aber ich musste, es ging nicht anders. Die Tränen liefen ganz von allein, und ich war richtig wütend, weil ich nichts gegen die Tränen tun konnte. Da sagte Papa, es sei ganz einfach jetzt zurück nach Hause zu fahren, wir würden einfach in den Zug steigen und zurück nach Koblenz fahren und in Koblenz umsteigen. Von Koblenz nach Köln sei es
dann nur noch ein Klacks, am Nachmittag seien wir wieder in Köln, und alles sei einfach, sehr einfach.
     
    Ich schüttelte aber nur noch mehr den Kopf und sagte »auf keinen Fall« und »auf gar keinen Fall«, und dann wischte ich mir noch einmal mit dem feuchten Taschentuch die Tränen ab. Ich gab Papa das Taschentuch zurück, und als ich es ihm in die Hand drückte, sah ich, dass er mich ganz genau anschaute, wie ein Arzt. Papa schaute mich so genau an, weil er heraus bekommen wollte, wie es mir ging. Ich konnte ihm aber nicht richtig sagen, wie es mir ging, denn ich hatte einen dicken, fetten Kloß im Hals, deshalb konnte ich nichts sagen. Ich wollte Papa aber sagen, dass ich auf jeden Fall mit ihm weiter wandern wolle. Da ich es ihm aber nicht sagen konnte, umarmte ich ihn einfach und gab ihm einen Kuß auf die Stirn, so wie mir die ältere Frau am Morgen einen Kuß gegeben hatte. Papa aber drückte mich ganz fest an sich, und dann sagte er »Du hast Heimweh, und ich habe auch ein bißchen Heimweh, wir haben beide etwas Heimweh«. Dann aber machte er eine kleine Pause. Und dann sagte er weiter: »Wir lassen uns aber von unserem Heimweh nicht umstimmen, nicht wahr? Wir wandern einfach weiter, dann vergeht das Heimweh ganz schnell. Und am Ende unserer Moselreise sind wir dann stolz, dass wir das Heimweh besiegt haben. Machen wir es so?« Ich hörte ihm genau zu, und als ich ihm zugehört hatte, war der dicke, fette Kloß im Hals beinahe verschwunden. Ich konnte also wieder ein bißchen sprechen, deshalb sagte ich: »Wir machen es so, wir besiegen das Heimweh. Das schaffen wir

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