Die Moselreise - Roman eines Kindes
zu voll oder zu laut sei, wir würden einfach in die Höhe verduften, denn in der Höhe seien wir meistens allein und hätten unsere Ruhe. »Was machen wir?«, fragte Papa mich da, und ich sagte noch einmal »Wir verduften einfach«, da lachte Papa und fragte, woher ich denn dieses seltsame Wort habe, dieses »verduften«. Da
habe ich einen Moment nachgedacht, und dann fiel es mir ein, und ich habe gesagt, dass die fünf Freunde in den Büchern von Enid Blyton oft sagen würden, sie müssten jetzt schnell verduften. Das würden sie dann auch tun, sie würden sehr schnell verduften, denn oft sei dann für die fünf Freunde irgendetwas gefährlich, sie wüssten zwar meistens nicht genau was, aber sie wüssten doch genau, wann es irgendwo gefährlich sei und wann nicht und wann man deshalb unbedingt verduften müsse.
Verduften
»Verduften« ist ein seltsames Wort. Eigentlich kann man nicht sagen »ich verdufte jetzt mal«, jedenfalls kann ich es nicht zu Mama oder Papa sagen. Zu meinen Freunden aber sage ich oft, dass ich jetzt mal »verdufte«. Ich meine damit aber gar nicht, dass ich verschwinde oder mich aus dem Staub mache, sondern ich meine, dass ich nach Hause gehe.
Wir sind dann zwischen den vielen Menschenströmen hindurch hinauf zur Burg Metternich gegangen. Die Burg Metternich muss einmal eine große, stolze Burg gewesen sein, aber es war sehr schwer, zu erkennen, wie genau sie einmal ausgesehen hat. Papa hatte einen Prospekt dabei und ging mit dem Prospekt durch die Burg, und dann sagte er, was hier und dort einmal alles so gewesen sei, aber es war trotzdem schwer, sich das vorzustellen. Nur der Bergfried war gut zu erkennen, denn der Bergfried stand noch in voller Größe da, die anderen Teile der Anlage aber hatten die Franzosen vor etwa dreihundert Jahren einfach zerstört. Das
Schöne an der Burg aber war, dass man auf ihren zerstörten Mauern herum und in ihre Schieß- und Aussichtslöcher hinein kraxeln konnte, und so ist aus einer Ritterburg eben eine Kraxelburg geworden. Papa fand die Burg Metternich, wie er sagte, »sehr eindrucksvoll«, besonders den Blick hinab ins Moseltal fand er »eindrucksvoll«, und so hat er den Bergfried und einige Mauern im Vordergrund gezeichnet und im Hintergrund den Blick ins Moseltal. Ich fand es wieder sehr schade, dass ich so etwas Eindrucksvolles nicht auch zeichnen konnte, aber dann habe ich den eindrucksvollen Blick immerhin fotografiert und später hat Papa mich noch vor den Weinbergen oberhalb der Burg mit dem Blick ins Moseltal fotografiert.
Fotografieren
Ich fotografiere manchmal mit meiner kleinen Voigtländer-Kamera. Oft aber vergesse ich auch, mit der Kamera zu fotografieren. Ich weiß nicht genau, ob ich gern fotografiere oder nicht. Ich weiß nur, dass ich manchmal überhaupt keine Lust habe zu fotografieren, aber ich weiß nicht, wieso. Manchmal aber habe ich auch richtig große Lust zu fotografieren, und dann fotografiere ich den ganzen Tag lang sehr viel. Wieso habe ich manchmal gar keine Lust und manchmal große Lust? Wenn ich zeichnen könnte, hätte ich dazu bestimmt immer Lust. Papa zeichnet sehr viel, jeden Tag, und er hat ein sehr schönes Skizzenheft mit lauter Zeichnungen von der Mosel und den Orten, die wir gesehen haben. Papa zeichnet keine Menschen, nur Orte, Landschaften und Dinge. Ich mag Papas Skizzenheft sehr und schaue oft hinein.
Wir sind dann von der Burg Metternich aus wieder etwas hinunter ins Tal und dann wieder etwas hinauf auf die Höhe gestiegen. Dort lag oberhalb der Häuser von Beilstein die Kirche von Beilstein. In der Kirche roch es sehr stark nach Weihrauch, und außerdem war die Kirche, wie Papa sagte, »in barockem Stil« erbaut. Papa erklärte mir, was »der barocke Stil« sei, »der barocke Stil« ist ein sehr prunkvoller und prächtiger Stil mit vielen Ornamenten. Alles in der Beilsteiner Kirche war prunkvoll und prächtig, die Kanzel, der große Altar, aber auch die kleinen Altäre. Dann aber gab es in der Beilsteiner Kirche noch etwas sehr Besonderes zu sehen, dieses Besondere war die Schwarze Madonna.
Die Schwarze Madonna war eine Madonna mit einem schwarzen Gesicht und langen schwarzen Haaren und einem goldenen Gewand mit Gürtel. Auch das Jesuskind, das sie auf der Hand hielt, hatte ein schwarzes Gesicht und schwarze Haare und ein goldenes Gewand, nur ohne Gürtel. Papa sagte, die Schwarze Madonna sei viele hundert Jahre alt und komme aus Spanien, spanische Soldaten hätten sie mit nach Beilstein
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