Die Moselreise - Roman eines Kindes
schon.« Und dann
gab ich Papa noch einen zweiten Kuß auf die Stirn und zog meinen Rucksack wieder über.
Das Heimweh
Das Heimweh ist nicht immer da, nur manchmal. Besonders stark ist das Heimweh, wenn ich an die Zimmer in unserer Wohnung denke, und sehr stark ist es, wenn ich an Mama denke. Wenn das Heimweh kommt, klopft das Herz, und der Mund wird sehr trocken. Es geht aber meist schnell wieder vorbei, vor allem dann, wenn man einfach weiter wandert und nicht mehr an Mama oder die Wohnung denkt.
Fragen
Ich: Hast Du als Junge auch mal Heimweh gehabt?
Papa: Nein, ich hatte kein Heimweh, denn ich war als Junge ja nie von zu Hause fort.
Ich: Und später? Hattest Du auch später niemals Heimweh?
Papa: Und ob! Während des Krieges, als ich Soldat war, da hatte ich ganz furchtbares Heimweh.
Ich: Und was hast Du gegen das Heimweh getan?
Papa: Ich habe gebetet, ich habe das »Vater unser« und das »Gegrüßet seist Du, Maria« gebetet.
Ich: Und das hat geholfen?
Papa: Ja, meistens hat das geholfen.
Wir wanderten dann weiter die Mosel entlang auf Ediger zu, Papa sagte aber nichts, und auch ich sagte nichts, sondern ich schaute mir nur die Mosel an. Die Musik in meinem Kopf war nicht mehr da, nur noch ein ganz kleines bißchen. Ich wünschte mir, dass Papa etwas sagen würde, aber er sagte nichts, und da hatte ich plötzlich den Verdacht, dass jetzt
vielleicht mit ihm etwas nicht stimmte. Ich schaute ihn aber nicht an, nein, ich schaute ihn lieber nicht an, sondern ich fragte ihn nur, was er denn heute Morgen in der Zeitung so alles gelesen habe und was es denn Neues über den Papst und das Konzil in Rom gebe. Da räusperte sich Papa etwas, und dann sagte er, dass das Konzil jetzt die Aufgabe habe, die Kirche zu erneuern und dass niemand so richtig wisse, wie man das mache, die Kirche erneuern. Ich fragte ihn, was man denn erneuern wolle, was denn genau. Papa sagte, der Papst wolle zum Beispiel die alten, steifen Gewänder ablegen und die Papstkrone nicht länger mehr tragen und sich nicht mehr auf einem Sessel über den Petersplatz tragen lassen. Stattdessen wolle der Papst neue, frische und helle Gewänder anziehen und zu Fuß über den Petersplatz gehen, das sei zum Beispiel eine Neuerung. Ich sagte, dass ich es sehr schade finde, wenn der Papst seine Krone nicht mehr trage und sich nicht mehr auf dem Sessel tragen lasse und nur noch helle Gewänder trage, weil nämlich die Krone und der Sessel und die dunklen Gewänder sehr feierlich und festlich seien. Und dann sagte ich noch, dass eigentlich jeder zu Fuß über den Petersplatz gehen könne, das könne schließlich jeder, und weil es schließlich jeder könne, brauche es der Papst nicht zu tun. Der Papst solle vielmehr tun, was nicht jeder tue oder könne, also zum Beispiel sich auf einem Sessel tragen lassen.
Wir haben dann während der ganzen Wanderung bis Ediger darüber nachgedacht, wie man die Kirche erneuern könne, und am Ende hatte ich eine kleine Liste mit lauter Erneuerungen im Kopf.
Wie man die Kirche erneuern könnte
In den Kirchen sollte es viel mehr Blumen geben.
Die Orgel sollte viel mehr spielen, auch lange Stücke, besonders nach dem Gottesdienst.
In jeder Messe sollte es viel Weihrauch geben.
Der Priester sollte alles schön laut in Latein vorlesen und einiges Latein ins Deutsche übersetzen.
Während der Kommunion sollte es nicht nur die Hostie, sondern auch Wein geben.
Für Kinder sollte es statt des Weins Traubensaft geben.
Es sollten noch viel mehr Kirchenlieder gesungen werden.
In den Hochämtern sollte nicht gepredigt werden.
Es sollte überhaupt kürzer gepredigt werden, jede Predigt sollte nicht länger dauern als fünf Minuten.
Die Kirchenglocken sollten vor jeder Messe ordentlich läuten, und zwar an jedem Tage anders.
Wir kamen dann am späten Mittag in Ediger an, und der kleine Ort Ediger gefiel mir sofort, ich weiß auch nicht warum. Am Moselufer standen viele Häuser dicht nebeneinander, und vom Ufer aus führten dann viele schmale Gassen von der Uferstraße aus in den Ort. Die schmalen Gassen verliefen aber meist parallel, eine neben der anderen, das sah sehr ordentlich und schön aus, als habe irgendjemand das alles ganz genau so geplant.
In Ediger hatten wir wieder ein »Privatquartier« gebucht, und so suchten wir nach dem Privatquartier der Familie M., und wir fanden es auch ganz leicht. Direkt unter dem Dach des Hauses der Familie M. waren Papa und ich in einem großen Zimmer untergebracht.
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