Die Moselreise - Roman eines Kindes
hat gesagt »ja, tu das!«, und Papa hat auch gesagt »ja, dann mal los!«, und dann hat er sich die Zeitung geholt und sich an ein Fenster gesetzt und begonnen, die Zeitung zu lesen. Ich aber bin rasch ins Nebenhaus gegangen und habe den Deckel des schwarzen Klaviers geöffnet, und dann habe ich Klavier gespielt.
Klavier spielen
Klavier spielen und schwimmen - beides mache ich unglaublich gerne. Wenn ich wie jetzt einige Tage nicht Klavier gespielt habe, juckt es mich manchmal richtig. Es juckt in den Fingern und in den Armen, und wenn es juckt, bewege ich rasch die Finger, als würde ich gerade Klavier spielen. Das Jucken geht dann sofort wieder weg, und es kommt mir so vor, als würde ich wirklich Klavier spielen. Manchmal höre ich sogar richtige Töne und Klänge, dann brauche ich bloß noch die Augen zu schließen. Wenn ich die Augen geschlossen habe, sehe ich nämlich auch noch die Noten, und dann ist alles fast so wie beim wirklichen Spielen.
Da ich einige Tage nicht Klavier gespielt hatte, habe ich das Spielen mit einem einfachen Stück begonnen. Ich habe eine Sonate von Scarlatti gespielt und danach habe ich die F-Dur-Sonate von Mozart gespielt und danach habe ich einige Stücke aus den »Kinderszenen« von Schumann gespielt und danach habe ich mit den Präludien und Fugen aus dem »Wohltemperierten Klavier« von Bach begonnen, von denen ich sonst jeden Tag einige spiele. Ich habe die Präludien und Fugen in C-Dur, C-moll, D-Dur und D-moll gespielt, da aber ist Papa in den kleinen Saal gekommen. Er hat noch gewartet, bis ich mit der Fuge in D-moll zu Ende gekommen war, dann aber hat er gesagt, dass ich einmal nach draußen, auf die Terrasse, kommen solle. Draußen, auf der Terrasse, warteten einige Leute auf mich, und als ich auf die Terrasse kam, sah ich, dass die Frau, die uns beim Frühstück bedient hatte, unter diesen Leuten war. Neben dieser Frau stand aber auch noch eine ältere Frau, diese ältere Frau war die Mutter der Frau, die uns beim Frühstück bedient hatte. Und neben diesen beiden Frauen standen noch einige andere Leute, die anscheinend wie wir im »Weinhaus Fuhrmann« übernachtet hatten.
All diese Leute warteten auf der Terrasse nur auf mich, und als ich zu ihnen kam, klatschten sie alle, und die ältere Frau nahm mich in ihre Arme und gab mir einen Kuss auf die rechte Backe. Dann aber sagte sie, dass sie ein so schönes Klavierspiel noch nie in ihrem Leben gehört habe, und die Frau, die uns beim Frühstück bedient hatte, sagte das auch. Die anderen Leute aber fragten mich, wie lange ich schon
Klavier spiele und wieso ich so gut Klavier spielen könne und ob ich bereits Konzerte gebe. Ich habe alle Fragen beantwortet, dadurch aber wurde es später und später, und Papa schaute dann auf die Uhr und sagte, dass wir jetzt bereits sehr spät dran seien und nun wohl oder übel weiterziehen müssten. Die Leute sagten, dass ich noch ein Stück zum Abschluss spielen solle, und die ältere Frau hat sich gewünscht, dass ich die »Träumerei« spiele. Ich habe dann noch die »Träumerei« gespielt, und die Leute sind mit in den kleinen Saal gekommen und haben zugeschaut, wie ich die »Träumerei« spielte. Danach haben sie wieder geklatscht und »wunderschön, einfach wunderschön« gesagt. Papa und ich sind dann aber rasch in unser Zimmer gegangen, und dann haben wir noch rascher alles gepackt und schließlich das Zimmer bezahlt. Ich habe für mein Klavierspiel noch eine Tüte Erfrischungsbonbons bekommen, und dann sind Papa und ich losgezogen, immer an der Mosel entlang, in Richtung Ediger.
Die »Träumerei«
Wenn ich eine Zugabe geben soll, wünschen sich viele Menschen die »Träumerei«. Ich weiß auch, dass sie sich die »Träumerei« sehr langsam gespielt wünschen. Wenn ich die »Träumerei« zu Hause spiele, spiele ich sie viel schneller, und neulich habe ich sie sogar einmal ganz schnell gespielt. Mama ist dann ins Zimmer gekommen und hat mich gefragt, warum ich die »Träumerei« so schnell spiele. Da habe ich gesagt, dass das Träumen doch eigentlich schnell sei und nicht langsam. Manchmal ist das Träumen sogar richtig schnell, also sehr schnell. Mama aber hat gesagt, dass Robert Schumann, also
der Komponist der »Träumerei«, das langsame Träumen, das Träumen am Tag mit offenen Augen gemeint habe. Da habe ich die »Träumerei« einmal ganz ganz langsam gespielt. Es klang aber nicht so gut wie das schnelle Spielen, nein, es klang wirklich gar nicht so gut.
Nach dem
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