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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wichtig. Er fing an zu reden.
    »Ich verstehe es immer noch nicht. Verstehe es überhaupt nicht. Sie hat nicht den Eindruck einer Wahnsinnigen gemacht.«
    Es war schmerzhaft, aber sie zwang sich, ihm zuzuhören.
    »Ich meine, sie hatte etwas Ernstes und Trauriges an sich«, fuhr er fort. »Ich weiß nur, daß ich sie geliebt habe. Und daß sie mich geliebt hat.« Er wandte sich an Julie. »Glaubst du, was ich sage?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Weißt du, sie hat so seltsame Dinge gesagt. Sie sagte, sie hätte nicht vorgehabt, mich zu lieben! Aber es ist passiert, und weißt du, ich habe ihr gesagt, ich wüßte genau, was sie meinte. Ich hätte nie gedacht… ich meine, es war ganz anders. Als hätte man sein Leben lang geglaubt, rosa Rosen wären rote Rosen!«
    »Ja, ich weiß.«
    »Als wäre lauwarmes Wasser heiß.«
    »Ja.«
    »Hast du sie dir gut ansehen können? Hast du gesehen, wie wunderschön sie war?«
    »Es nützt nichts, darüber zu grübeln. Du kannst sie nicht zu-rückholen.«
    »Ich wußte, daß ich sie verlieren würde. Ich wußte es von Anfang an. Ich weiß nicht, warum. Ich wußte es einfach. Sie war nicht von dieser Welt, verstehst du? Und doch war sie mehr von dieser Welt als alle, die ich jemals…«
    »Ich weiß.«
    Er starrte wieder geradeaus; vielleicht sah er die anderen Gä-
    ste an, die schwarzgekleideten Kellner, die hin und her gingen, vielleicht hörte er die gedämpften Stimmen. Fast ausschließ-
    lich Briten an Bord des Schiffes. Plötzlich schien ihr dieser Umstand abstoßend.
    »Man kann vergessen!« sagte sie plötzlich. »Es ist möglich, ich weiß es.«
    »Ja, vergessen«, sagte er und lächelte kalt, obwohl das Lä-
    cheln nicht ihr galt. »Vergessen«, wiederholte er. »Das werden wir machen. Du wirst Ramsey vergessen, da ganz eindeutig etwas geschehen ist, das euch entzweit hat. Und ich werde sie vergessen. Und wir werden unser Leben leben, so tun, als ob, als hätten wir niemals so geliebt, wir beide. Du Ramsey und ich sie.«
    Julie sah ihn empört an. Sie kniff die Augen zusammen.
    »So tun, als ob«, sagte sie. »Wie abscheulich!«
    Er hatte sie nicht einmal gehört. Er griff zur Gabel und fing an zu essen, oder besser gesagt, er fing an, das Essen aufzu-spießen.
    Sie saß zitternd da und sah auf ihren Teller hinab.

    Es war dunkel draußen. Blaues Licht fiel durch die Jalousien.
    Walter war wieder gekommen und hatte ihn gefragt, ob er etwas essen wollte. Er hatte nein gesagt. Nur allein wollte er sein.
    Er saß in Morgenmantel und Hausschuhen da und betrachtete die Flasche auf dem Tisch. Sie leuchtete in der Dunkelheit.
    Die Nachricht lag neben der Flasche, wo er sie hingelegt hatte.
    Schließlich stand er auf und zog sich an. Er brauchte eine ganze Weile, weil jedes Kleidungsstück andere Fertigkeiten erforderte, aber schließlich war er fertig. Er hatte den grauen Wollanzug an, etwas zu warm für die Tage hier, aber perfekt für die Nächte.
    Dann ging er zum Tisch, wobei er sich mit der linken Hand auf den Gehstock stützte. Dann hob er mit der rechten Hand die Flasche hoch. Er steckte die Flasche in die Innentasche, die gerade groß genug war. Die Wölbung war deutlich sichtbar.
    Dann ging er hinaus. Nachdem er sich ein kurzes Stück vom Shepheard entfernt hatte, wurden die Schmerzen in seinem Bein schlimmer. Aber er ging weiter, wechselte nur ab und zu den Stock von einer Seite auf die andere. Wenn nötig, blieb er stehen. Sobald er wieder konnte, ging er weiter.
    Nach etwa einer Stunde hatte er die Altstadt von Kairo erreicht. Er ging ziellos durch die Straßen. Er suchte nicht nach Malenkas Haus. Er schlenderte einfach umher. Und schlenderte. Um Mitternacht war sein linker Fuß wieder taub, aber das spielte keine Rolle.
    Alles, was er sah, betrachtete er eindringlich. Er betrachtete Wände und Türen und die Gesichter der Menschen. Er blieb vor Bars und Nachtclubs stehen und lauschte der Musik. Hin und wieder erblickte er eine Bauchtänzerin, die ihr verführerisches kleines Ritual ausführte. Einmal blieb er stehen und hörte einem Mann zu, der Flöte spielte.
    Nirgends blieb er lange, außer wenn er sehr erschöpft war.
    Dann setzte er sich und döste manchmal sogar. Die Nacht war still und friedlich. Sie schien frei von jeglicher Gefahr.
    Als es zwei Uhr war, schlenderte er immer noch. Er hatte die alte Stadt durchstreift und näherte sich wieder den neueren Bezirken.

    Julie stand an der Reling und hielt die Enden des Schals umklammert. Sie sah in das dunkle Wasser

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