Die Mumie
Lehmstraßen aufzusteigen, als der Basar zum Leben erwachte, die gestreiften Markisen ausgerollt und die Rufe von Kamelen und Eseln laut wurden.
Elliott war jetzt müde und erschöpft. Er wußte, daß er dem Schlaf nicht mehr lange würde widerstehen können, aber dennoch ging er weiter. Benommen schlenderte er an den Händlern vorbei; die einen handelten mit Messing, die anderen mit Teppichen und wieder andere mit gellebiyyas und gefälschten Antiquitäten – billige ägyptische »Schätze« für wenig Geld. Er kam an Mumienhändlern vorbei, die für ein Almosen die Leichname von Königen feilboten.
Mumien. Sie standen an einer weißgetünchten Wand im sengenden Sonnenlicht. Mumien, verdreckt, zerlumpt, in zerfetzten Bandagen, und doch waren ihre Gesichter unter den Stoff-und Schmutzschichten deutlich zu erkennen.
Er blieb stehen. Alle Gedanken, mit denen er die ganze Nacht lang gerungen hatte, schienen ihn zu verlassen. Die Bilder seiner Lieben, die ihm so nahe standen, verblaßten plötzlich.
Er stand auf dem Basar, die Sonne brannte auf ihn herab und er betrachtete eine Reihe von Leichen an der Mauer.
Malenkas Worte fielen ihm ein.
»Sie machen einen großen Pharao aus meinem Englischmann. Meinem wunderschönen Englischmann. Sie legen ihn in Bitumen und machen eine Mumie aus ihm, die die Touristen kaufen können… Mein wunderschöner Englischmann, sie wik-keln ihn in Leinen und machen ihn zum König.«
Er ging näher hin, unwiderstehlich angezogen von dem, was er sah, obwohl es ihn abstieß. Er verspürte, wie die Übelkeit in ihm aufstieg, als er die erste Mumie ansah, die größte und dünnste von allen, die am Ende der Wand stand. Die Übelkeit verschlimmerte sich, als der Händler nach vorne kam – mit vorgestrecktem dicken Bauch und hinter dem Rücken verschränkten Händen.
»Erlaubt mir, Euch ein gutes Geschäft anzubieten!« sagte der Kaufmann. »Der hier ist nicht wie die anderen. Seht Ihr? Wenn Ihr genau hinseht, könnt Ihr seinen feinen Knochenbau erkennen, denn er war ein großer König. Kommt! Kommt näher.
Seht ihn Euch genau an.«
Elliott gehorchte widerwillig. Die Bandagen waren dick und schimmelig, sie sahen wirklich alt aus! Und der Gestank, der von dem Ding ausging, der verfaulende Geruch von Erde und Bitumen. Jetzt sah er unter dem dicken Verband das Gesicht, die Nase und die breite Stirn, sah deutlich die eingefallenen Augen und den dünnen Mund! Er sah das Gesicht von Henry Stratford vor sich, daran bestand nicht der geringste Zweifel.
Die Morgensonne schien mit ihren wunderbaren Strahlen durch das runde Bullauge und drang durch die weißen Vorhänge des schmalen Messingbetts.
Sie saßen nebeneinander im Bett. Ihre Körper waren warm vom Liebesakt und warm vom Wein, den sie getrunken hatten.
Jetzt sah sie ihm zu, wie er den Inhalt der Phiole in den Co-gnacschwenker füllte. Winzige Lichter tanzten in der seltsamen Flüssigkeit. Er hielt ihr das Glas hin.
Sie nahm es entgegen und sah ihm in die Augen. Einen Augenblick lang hatte sie wieder Angst. Und plötzlich schien ihr, als wäre sie nicht in diesem Zimmer. Sie war im Nebel an Deck und es war kalt. Das Meer wartete. Dann zitterte sie, und die warme Sonne taute ihre Haut auf, und sie sah auch in seinen Augen die Angst.
Nur menschlich, nur ein Mann, dachte sie. Er weiß ebenso wenig, was geschehen wird, wie ich! Und sie lächelte.
Sie trank das Glas leer.
»Der Leichnam eines Königs, ich sage es Euch«, sagte der Händler und beugte sich anbiedernd und vertraulich nach vorne. »Ich gebe ihn Euch umsonst! Weil ich Euch mag. Ich sehe, Ihr seid ein Gentleman. Ihr habt Geschmack. Diese Mumie, ihr könnt sie aus Ägypten fortschaffen, eine Kleinigkeit für Euch.
Ich bezahle das Schmiergeld für Euch…« Weiter und weiter ging die Litanei der Lügen, das Lied der Geschäftemacherei, die idiotische Nachahmung von Aufrichtigkeit.
Henry unter dem Stoff! Henry für alle Zeiten in schmutzige Bandagen gewickelt! Henry, den er vor einem ganzen Leben in jenem Hotelzimmer in Paris liebkost hatte.
»Kommt jetzt, Sir, kehrt den Geheimnissen Ägyptens nicht den Rücken, Sir, den Geheimnissen des ältesten dunkelsten Ägypten. Dem Land der Magie…«
Die Stimme wurde leiser, hallte einen Moment, als er ein paar Schritte weiter ins Licht der Sonne taumelte.
Als große, brennende Scheibe hing sie über den Dächern. Sie blendete ihn, als er zu ihr aufsah.
Er ließ die Flasche nicht aus den Augen, als er den Gehstock fest umklammerte
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