Die Mumie
bestelle uns Tee.« Der Earl ließ sich auf dem kleinen vergoldeten Sessel nieder. Tee hörte sich nicht schlecht an. Was war das für ein Duft? Hatten sie Blumen in ihrer Kabine? Er sah keine. Nur den Champagner in dem glänzenden Eiskübel und die Gläser, die auf einem silbernen Tablett daneben standen.
Dann fiel es ihm wieder ein. Die Wicke, die er in der Tasche zerdrückt hatte. Sie verströmte immer noch ihren zarten Duft.
»Tee hört sich gut an, Alex, aber es besteht kein Grund zur Eile«, murmelte er. Er griff in die Tasche, fand die zerdrückte kleine Blüte, zog sie heraus und hielt sie an die Nase.
Wirklich ein sehr angenehmer Duft. Und dann mußte er wieder an den Wintergarten denken, in dem es grünte und blühte wie nie zuvor. Er betrachtete die Wicke. Jetzt glättete sich die Blü-
te vor seinen Augen. Sie öffnete sich und war innerhalb von Sekunden wieder zu einer perfekten Blüte geworden.
Alex redete mit ihm, aber Elliott hörte ihn nicht. Er betrachtete nur benommen die Blüte. Dann preßte er sie noch einmal fest zusammen. Langsam sah er auf und stellte fest, daß Alex gerade den Telefonhörer weglegte.
»Tee in fünfzehn Minuten«, sagte Alex. »Was ist denn los, Vater? Du bist ja weiß wie…«
»Nichts. Nein. Nichts weiter. Ich möchte jetzt ausruhen. Ruf mich, wenn der Tee kommt.«
Er stand auf, die Blüte immer noch fest in der Hand.
Als er die Tür seiner Kabine zugemacht hatte, lehnte er sich dagegen. Er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinab-rann. Er öffnete die Hand. Wieder verwandelte sich das zerquetschte Etwas in eine perfekte Blüte.
Er konnte gar nicht mehr aufhören, sie anzustarren. Das winzige grüne Blättchen an ihrem Ansatz krümmte sich vor seinen Augen. Dann stellte er fest, daß er sich selbst im Spiegel sah.
Er sah einen grauhaarigen, leicht verkrüppelten Mann, der mit fünfundfünfzig immer noch eine stattliche Erscheinung war, auch wenn ihm jeder Schritt Schmerzen bereitete. Er ließ den Gehstock los, achtete nicht darauf, daß dieser umfiel, und tastete mit der linken Hand nach seinem grauen Haar.
Er hörte, wie Alex ihn rief. Der Tee war schon da. Vorsichtig holte er die Brieftasche heraus, zerdrückte die Blüte von neuem und steckte sie zwischen die Lederlaschen. Dann bückte er sich ganz langsam und hob den Gehstock auf.
Ihm schien, als sei sein Sohn, der ihm Tee einschenkte, weit, weit weg.
»Weißt du, Vater«, sagte Alex, »ich fange an zu glauben, daß doch alles gut wird. Ich konnte mir diesen Ramsey genauer ansehen. Er ist ein gutaussehender Bursche, aber er ist zu alt für sie, glaubst du nicht auch?«
Es machte ihm ja soviel Spaß, dieser große schwimmende Palast aus Eisen mit den kleinen Geschäften an Bord, einem großen Ballsaal und einer Tanzfläche, auf der man später tanzen konnte.
Und sein Quartier! Niemals, nicht einmal als König, hatte er ein so prunkvolles Quartier an Bord eines Schiffes gehabt.
Sein Lachen klang fast albern, während die Stewards den letzten Rest von Lawrence Stratfords Kleidung auspackten.
Nachdem sie gegangen waren, machte Samir die Tür zu, drehte sich um und holte ein dickes Bündel Geldscheine aus der Tasche.
»Dies wird lange reichen, Sire, aber Sie dürfen nicht alles auf einmal zeigen.«
»Ja, mein treuer Diener. Das wußte man schon, als ich mich als Knabe aus dem Palast geschlichen habe.« Wieder lachte er übermütig. Er konnte nicht anders. Das Schiff verfügte sogar über eine Bibliothek und ein kleines Kino. Und dann die vielen Wunder unter Deck. Und die zuvorkommenden eleganten Bediensteten hatten ihm gesagt, er könne sich frei bewegen, ganz wie er wolle.
»Ihre Münze war sehr viel mehr wert, Sire, aber ich hatte die schlechteren Karten.«
»Wie sagt man doch heutzutage, Samir: Laß dir keine grauen Haare wachsen. Und deine Einschätzung von Lord Rutherford war korrekt. Er glaubt es. Man könnte sogar sagen, er weiß es.«
»Aber nur von Henry Stratford droht Gefahr. Wäre ein Sturz von Deck bei schwerem Seegang gerecht?«
»Unklug. Es würde Julies Seelenfrieden zunichte machen. Je mehr ich über dieses Zeitalter erfahre, desto mehr begreife ich, wie komplex es ist und wie sehr die Idee der Gerechtigkeit alles prägt. Sie sind Römer, aber sie sind mehr. Wir werden Mr. Henry Stratford im Auge behalten. Wenn seine Anwesen-heit eine Qual für Julie wird, ist sein Tod vielleicht das kleinere Übel. Aber darum mußt du dir keine Gedanken machen. Ich kümmere mich
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