Die Mumie
entwickeln.«
»So ist es.« Julie lachte. Plötzlich war sie froh, daß Elliott da war. Er würde ihr über peinliche Augenblicke hinweghelfen, das machte er instinktiv. Wahrscheinlich konnte er gar nicht anders. Es lag an seinem unwiderstehlichen Charme, daß man ihn mochte.
Sie wagte nicht, Henry direkt anzusehen, merkte aber, daß ihm furchtbar unwohl zumute war. Er trank schon wieder. Sein Glas war halb voll.
Jetzt brachten die Kellner Sherry und Suppe. Ramses hatte bereits nach dem Brot gegriffen, ein großes Stück von dem kleinen Laib abgerissen und gegessen.
»Sagen Sie mir, Mr. Ramsey«, fuhr Elliott fort, »wie hat Ihnen Ihr Aufenthalt in London gefallen? Sie waren ja nicht lange bei uns.«
Warum, zum Teufel, lächelte Ramses?
»Ich fand London faszinierend«, sagte er mit unverhohlener Begeisterung. »Eine seltsame Mischung aus unvorstellbarem Reichtum und unerklärlicher Armut. Ich kann nicht verstehen, wie so viele Maschinen soviel für so wenige produzieren können, und so wenig für so viele…«
»Sir, Sie stellen die gesamte Industrielle Revolution in Frage«, sagte Alex mit nervösem Lächeln, das bei ihm eindeutig ein Zeichen für Unbehagen war. »Sagen Sie mir nicht, Sie sind Marxist. Es kommt recht selten vor, daß wir in unseren Kreisen einen… Radikalen treffen.«
»Was ist ein Marxist! Ich bin Ägypter«, sagte Ramses.
»Das sind Sie selbstverständlich, Mr. Ramsey«, sagte Elliott schnell. »Und Sie sind kein Marxist. Wie lächerlich. Haben Sie unseren Lawrence in Kairo kennengelernt?«
»Unseren Lawrence. Ich kannte ihn nicht lang.« Ramses starrte Henry an. Julie hob hastig den Suppenlöffel, stieß Ramses kurz mit dem Ellbogen an und führte ihm vor, wie die Suppe gegessen wurde. Er sah sie nicht einmal an. Er griff nach seinem Brot, nahm es, tunkte es in die Suppe und fing an zu essen. Henry sah er weiterhin finster an.
»Lawrences Tod war, wie sicher für uns alle, auch für mich ein furchtbarer Schock«, sagte er und tunkte wieder ein großes Stück Brot in die Suppe. »Ist ein Marxist eine Art Philosoph?
Ich erinnere mich an einen Karl Marx. Ich bin in Lawrences Bibliothek auf diesen Namen gestoßen. Ein Narr.«
Henry hatte seine Suppe nicht angerührt. Er nahm noch einen großen Schluck Scotch und winkte dann den Kellner heran.
»Das ist unwichtig«, sagte Julie hastig.
»Ja, Lawrences Tod war ein schrecklicher Schock«, sagte Elliott ernst. »Ich hätte ihm gut und gerne noch zehn Jahre gegeben. Vielleicht sogar zwanzig.«
Ramses tunkte wieder ein gewaltiges Stück Brot in die Suppe.
Henry, der ihn mittlerweile mit Entsetzen ansah, wich seinem Blick aus. Alle Augen waren mehr oder weniger auf Ramses gerichtet, der gerade den letzten Rest Suppe mit einem Stück Brot auftunkte, dann den Sherry hinunterstürzte, den Mund mit einer Serviette abwischte und sich zurücklehnte.
»Mehr Essen«, flüsterte er. »Kommt noch mehr?«
»Ja, natürlich, aber mach langsam«, flüsterte Julie.
»Sie waren ein guter Freund von Lawrence?« fragte jetzt Ramses, zu Elliott gewandt.
»Ja«, antwortete Elliott.
»Tja, wenn er hier wäre, würde er von seiner heißgeliebten Mumie sprechen«, sagte Alex mit nervösem Lachen. »Übrigens, warum machst du diese Reise überhaupt, Julie? Warum fährst du nach Ägypten, wenn die Mumie hier in London liegt.
Weißt du, ich verstehe wirklich nicht…«
»Die Sammlung hat verschiedene Möglichkeiten der For-schung aufgezeigt«, sagte Julie. »Wir wollen nach Alexandria, dann vielleicht nach Kairo…«
»Ja, natürlich«, sagte Elliott. Er beobachtete Ramses, als der Kellner den Fisch vor ihn auf den Tisch stellte, eine kleine Portion in delikater Rahmsoße. »Kleopatra«, fuhr er fort, »dein geheimnisvoller Ramses der Zweite behauptet, daß er sie geliebt und verloren hat. Und das geschah in Alexandria, stimmt’s?«
Das hatte Julie nicht erwartet. Auch Ramses nicht, der jetzt das Brot weglegte und den Earl anstarrte. Auf seiner glatten Haut zeigten sich rote Pünktchen.
»Ja, nun, das ist ein Faktum«, mühte sich Julie ab. »Und dann reisen wir nach Luxor, und nach Abu Simbel. Ich hoffe, ihr seid alle für die anstrengende Reise gerüstet. Wenn ihr natürlich nicht weiter mitkommen wollt…«
»Abu Simbel«, sagte Alex. »Befinden sich dort nicht die riesigen Statuen von Ramses dem Zweiten?«
Ramses brach den Fisch mit den Fingern in zwei Teile und aß den einen. Dann aß er die zweite Hälfte. Auf Elliotts Gesicht zeigte sich ein
Weitere Kostenlose Bücher