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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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spreng-ten fast ihre Töpfe, das Efeu bedeckte bereits das ganze Dach.
    Er verbarg seine Überraschung, obwohl er nicht sicher war, vor wem, da weder Ramsey noch Samir von ihm Notiz zu nehmen schienen. Er riß eine der blauweißen Winden ab, die über seinem Kopf hing.
    Er betrachtete die makellose, trompetenförmige Blüte. Welcher Duft. Dann sah er auf, und seine Augen trafen die von Ramsey.
    Plötzlich riß sich Samir aus seiner scheinbaren Meditation.
    »Lord Rutherford, bitte gestatten Sie, daß ich…« Dann verstummte er, als fehlten ihm die Worte.
    Ramsey stand auf und wischte sich die Finger langsam an der Serviette ab.
    Der Earl steckte die Windenblüte geistesabwesend in die Tasche und streckte die Hand aus.
    »Reginald Ramsey«, sagte er, »es ist mir ein großes Vergnü-
    gen. Ich bin ein alter Freund der Familie Stratford. Und selbst eine Art Ägyptologe. Mein Sohn Alex ist mit Julie verlobt und soll sie heiraten. Vielleicht wissen Sie es.«
    Der Mann hatte es nicht gewußt. Oder er verstand es nicht. Er errötete.
    »Mit Julie verheiratet?« sagte er fast flüsternd. Und dann mit unnatürlicher Fröhlichkeit: »Ein glücklicher Mann, Ihr Sohn.«
    Der Earl konnte seinen Blick nicht von dem überladenen Tisch und der Blütenpracht abwenden, die förmlich die Sonne verdeckte. Er sah den Mann vor sich, der eindeutig einer der schönsten Menschen war, den er je gesehen hatte, ruhig an.
    Wunderschön, wenn man genau darüber nachdachte. Die großen, leidenschaftlichen blauen Augen, die Frauen verrückt machten. Dazu das gewinnende Lächeln. Beides zusammen ergab eine fatale Kombination.
    Das Schweigen wurde peinlich.
    »Ah, das Tagebuch«, sagte Elliott. Er griff in den Mantel. Samir erkannte es sofort, das war deutlich zu sehen.
    »Dieses Tagebuch«, sagte Elliott, »gehörte Lawrence. Es enthält wertvolle Informationen über das Grab von Ramses. Offenbar Notizen zu den Papyri, die der Mann hinterlassen hat.

    Ich habe es gestern abend mitgenommen. Ich muß es zurückbringen.«
    Plötzlich war Ramseys Gesicht kalt.
    Elliott drehte sich um, stützte sich auf seinen Stock und machte ein paar schmerzhafte Schritte auf Lawrences Schreibtisch zu.
    Ramsey kam ihm nach.
    »Die Schmerzen in Ihren Gelenken«, fragte Ramsey, »haben Sie eine moderne Medizin dagegen? Es gab ein altes ägyptisches Heilmittel. Die Rinde der Weide. Man mußte sie kochen.«
    »Ja«, sagte Elliott und sah wieder in diese fesselnden blauen Augen. »Heute nennen wir das Aspirin, richtig?« Er lächelte.
    Es lief besser, als er sich vorzustellen gewagt hätte. Er hoffte, daß sein Erröten nicht so sichtbar war wie bei Ramsey. »Wo waren Sie all die Jahre, daß Sie nichts von Aspirin gehört haben, guter Mann? Wir stellen es synthetisch her, und Sie sind selbstverständlich mit dem Wort vertraut.«
    Ramsey behielt die Fassung, kniff aber ein klein wenig die Augen zusammen, als wollte er den Earl wissen lassen, daß er verstimmt war.
    »Ich bin kein Mann der Wissenschaft, Lord Rutherford«, entgegnete er. »Ich bin mehr ein Beobachter, ein Philosoph. Sie nennen es also Aspirin. Es freut mich, das zu wissen. Vielleicht habe ich zuviel Zeit in fernen Ländern verbracht.« Er zog eine Braue hoch.
    »Aber selbstverständlich hatten die alten Ägypter bessere Arz-neimittel als Weidenrinde, oder nicht?« bohrte Elliott weiter. Er sah zu der Reihe Alabastergefäße auf dem Tisch auf der anderen Seite des Zimmers. »Wirksame Arzneien – Elixiere, sozusagen -, die schlimmere Leiden heilen konnten als die Schmerzen in meinen Knochen.«
    »Jede wirksame Arznei hat ihren Preis«, antwortete Ramsey gelassen. »Oder sollte ich sagen, ihre Gefahren. Sie sind ein ungewöhnlicher Mann, Lord Rutherford. Sie glauben doch sicher nicht, was Sie im Tagebuch Ihres Freundes Lawrence gelesen haben.«
    »Aber gewiß glaube ich es. Denn sehen Sie, ich bin auch kein Mann der Wissenschaft. Vielleicht sind wir beide Philosophen, Sie und ich. Und ich betrachte mich ein klein wenig als Dichter, da so viele meiner Reisen einzig in meinen Träumen stattgefunden haben.«
    Die beiden Männer sahen einander einen Augenblick lang schweigend an.
    »Ein Dichter«, sagte Ramsey und ließ den Blick fast unhöflich lange über Elliott gleiten. »Ich verstehe Sie. Aber Sie sagen die ungewöhnlichsten Sachen.«
    Elliott bemühte sich, dem Blick standzuhalten. Er spürte, wie ihm unter dem Hemd der Schweiß ausbrach. Das Gesicht des Mannes war so unerwartet offen und fast

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