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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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nicht noch einen Drink, oder? Ich habe einen Tisch für Viertel vor eins bestellt, und wenn wir zu lange warten, halten sie ihn nicht frei.«
    »Guten Tag, Miss Keeling.«
    »Hallo, Gerard. Nein danke, ich nehme keinen Drink, wir haben nicht sehr viel Zeit.«
    »Haben Sie bestellt?«
    »Ja. Für Viertel vor eins. Ich fürchte, ich bin ein bißchen spät.«
    »Macht nichts - wenn Sie mir bitte folgen würden.« Er ging voraus, aber Olivia wartete, bis Nancy sich vom Stuhl gestemmt, ihre Tasche und ihre Illustrierte genommen und ihren Pullover über ihren unübersehbaren Bauch gezogen hatte, ehe sie ihm folgte. Das Restaurant war warm und voll, und man hörte nur Männerstimmen. Sie wurden zu Olivias gewohntem Tisch in einer Ecke des Raums geführt, den der Oberkellner mit einer Verbeugung vorzog, damit sie auf der geschwungenen Bank Platz nehmen konnten. Dann schob er den Tisch wieder zurück und reichte ihnen die dicke schweinsledergebundene Speisekarte. »Ein Glas Sherry, während Sie wählen?«
    »Für mich bitte ein Perrier, Gerard, und für meine Schwester. « Sie drehte sich zu Nancy. »Möchtest du Wein?«
    »Ja, gern.«
    Olivia ignorierte die Weinkarte und bestellte eine halbe Flasche Weißwein des Hauses. »Was würdest du gern essen?«
    Nancy wußte es nicht. Die Speisekarte war beängstigend umfangreich und voll von französischen Bezeichnungen. Olivia wußte, daß sie stundenlang dasitzen konnte, ohne zu einem Entschluß zu kommen, und machte ein paar Vorschläge, und schließlich bestellte Nancy eine Bouillon und ein Kalbsschnitzel mit Champignons. Olivia nahm ein Omelett und einen grünen Salat, und als das erledigt war und der Kellner sich entfernt hatte, fragte sie: »Wie war die Fahrt?«
    »Sehr angenehm. Ich hab den Zug um Viertel nach neun genommen. Es ging alles drunter und drüber, weil ich die Kinder vorher rechtzeitig zur Schule bringen mußte, aber ich habe es geschafft. «
    »Wie geht es den Kindern?«
    Sie versuchte Interesse zu heucheln, aber Nancy wußte, daß Melanie und Rupert ihr ziemlich gleichgültig waren, und hielt zum Glück keinen langen Vortrag. »Sehr gut.«
    »Und George?«
    »Ich denke, auch ganz gut.«
    »Und den Hunden?«
    Nancy wollte noch einmal das gleiche sagen, aber dann erinnerte sie sich. »Einer von ihnen hat sich heute nacht in der Küche übergeben.«
    Olivia verzog das Gesicht. »Erzähl bitte nicht weiter. Nicht, bevor wir gegessen haben.«
    Der Weinkellner kam mit Olivias Perrier und Nancys halber Flasche. Er öffnete die beiden Flaschen geschickt und schenkte ein wenig Wein ein. Dann wartete er. Nancy fiel ein, daß sie probieren mußte, und sie nahm einen Schluck, schürzte fachmännisch die Lippen und erklärte, er sei ausgezeichnet. Der Kellner schenkte das Glas voll, stellte die Flasche auf den Tisch und zog sich zurück.
    Olivia schenkte sich ihr Wasser selbst ein. »Trinkst du nie Wein?« fragte Nancy. »Nicht bei Arbeitsessen.«
    Nancy zog die Augenbrauen hoch und blickte beinahe verschwörerisch. »Ist dies ein Arbeitsessen?«
    »Hm, im Grunde ja. Haben wir nicht wichtige Dinge zu besprechen? Über Mama?« Der kindliche Ausdruck irritierte Nancy auch jetzt. Alle drei Kinder redeten Penelope unterschiedlich an. Noel sagte Ma zu ihr. Nancy nannte sie seit einigen Jahren Mutter, weil sie es passender für ihr Alter und ihre Stellung im Leben fand. Nur Olivia - die in jeder anderen Hinsicht so kühl und mondän war - fuhr fort, »Mama« zu sagen. Nancy fragte sich manchmal, ob Olivia sich darüber klar war, wie lächerlich es klang. »Wir fangen besser damit an. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Ihr geschäftsmäßiger Ton war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Nancy, die die ganze Strecke von Gloucestershire in die Stadt gefahren war, nachdem sie die Bescherung aufgewischt hatte, die der Hund in der Küche hinterlassen hatte, und sich dann noch den Daumen an der Bonzo-Dose aufgeschnitten hatte, die ihre Kinder zur Schule hatte bringen müssen und nur mit knapper Not den Zug erwischt hatte, fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.
    Warum mußte Olivia immer so brüsk sein, so kalt und gefühllos? Konnten sie beide denn nie gemütlich zusammensitzen und wie Schwestern miteinander reden, ohne daß Olivia mit ihrer Karriere auftrumpfte, als ob Nancys Leben mit seinen anerkannten Prioritäten von Heim, Ehemann und Kindern überhaupt nicht zählte? Als sie klein gewesen waren, war Nancy immer die Hübschere

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