Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
Mantels mit abnehmbarem Cape gelegen, und an seinen knotigen und deformierten Händen hatte er Halbfäustlinge getragen, aus denen die längst nutzlosen Finger weiß und blutleer wie Knochen hervorragten. Im allerletzten Augenblick, als der Zug sich schon in Bewegung setzte, hatte Penelope sie hochgenommen, und der alte Mann hatte die Hand ausgestreckt und sie an ihre runde Babywange gelegt. Sie erinnerte sich, wie kalt die Hand gewesen war, die sich an ihrer Haut wie Marmor angefühlt hatte. Für mehr hatte die Zeit nicht gereicht. Der Zug wurde schneller, der Bahnsteig entglitt in einer langgezogenen Krümmung, er stand da und wurde immer kleiner und schwenkte seinen großen breitkrempigen Hut in einem letzten Abschiedsgruß. Das war Nancys erste und einzige Erinnerung an ihn, denn er war im Jahr darauf gestorben.
    Vergangen und dahin, sagte sie sich. Kein Grund, sentimental zu werden. Aber sehr merkwürdig, daß es heute jemanden geben sollte, der den Wunsch hatte, seine Werke zu kaufen. Die Wasserträgerinnen. Sie schüttelte verständnislos den Kopf, dachte dann aber nicht weiter über das Rätsel nach und wandte sich erwartungsvoll den tröstlichen Illusionen der Gesellschaftsrubrik zu.

Der neue Fotograf hieß Lyle Medwin. Er war ein sehr junger Mann mit seidigen braunen Haaren, die aussahen wie nach der Suppenschüsselmethode geschnitten, und einem freundlichen Gesicht mit unschuldig blickenden Augen. Er hatte etwas Weitabgewandtes, wie ein inbrünstiger Novize, und Olivia konnte kaum glauben, daß er es bei dem erbarmungslosen Konkurrenzkampf in seiner Branche so weit gebracht hatte, ohne auf der Strecke zu bleiben. Sie standen am Tisch am Fenster ihres Büros, wo er Proben seiner früheren Arbeiten zu ihrer Begutachtung ausgebreitet hatte, ungefähr zwei Dutzend großformatige Hochglanzabzüge, die sie überzeugen sollten. Olivia hatte sie aufmerksam betrachtet, und sie gefielen ihr. Sie waren vor allem scharf und deutlich. Modefotos, sagte sie immer, mußten zeigen, wie ein Kleidungsstück geschnitten war, wie ein Rock fiel, was für eine Oberflächenstruktur ein Pullover hatte, und all das fiel hier sofort ins Auge. Aber aus den Bildern atmete zugleich Leben, Bewegung, Freude, sogar eine gewisse Zärtlichkeit.
    Sie nahm eines hoch. Ein Mann, der wie ein Fußballprofi gebaut war, lief durch Brandungsgischt, und sein Jogginganzug hob sich blendend weiß vor dem kobaltblauen Meer ab. Sonnengebräunte Haut, Schweiß, salzige Seeluft, die man zu riechen glaubte, und Einssein mit dem Körper. »Wo haben Sie das gemacht?«
    »In Malibu. Es war eine Annonce für Sportkleidung.«
    »Und das?« Sie nahm ein anderes Foto, eine Abendaufnahme von einem Mädchen in fließendem, flammend rotem Chiffon, das sein Gesicht der blutroten untergehenden Sonne zuwandte. »Das war Point Reays... für einen Bericht in der amerikanischen Vogue .«
    Sie legte die Abzüge wieder hin, wandte sich ihm zu und machte sich etwas kleiner, indem sie sich an die Tischkante lehnte. Ihre Augen waren nun auf gleicher Höhe. »Was ist Ihr beruflicher Background?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Fachschule. Dann habe ich ein bißchen frei gearbeitet, und dann bin ich zu Toby Stryber gegangen und war ein paar Jahre sein Assistent.«
    »Ja, es war Toby, der mir von Ihnen erzählt hat.«
    »Und als ich bei Toby aufgehört habe, bin ich nach Los Angeles gegangen. Ich habe die drei letzten Jahre drüben gelebt.«
    »Und Erfolg gehabt?«
    Er lächelte bescheiden. »Na ja, ich bin einigermaßen zurechtgekommen.«
    Er war absolut kalifornisch gekleidet. Weiße Sneaker, verwaschene Jeans, weißes Hemd, eine verblichene Jeansjacke. Als einzige Konzession an den kalten Londoner Winter hatte er einen korallenroten Kaschmirschal um den Hals. Seine Kleidung war lässig und knautschig, gab ihm jedoch etwas köstlich Sauberes, wie frischgewaschene Wäsche - sonnengetrocknet, aber noch nicht gebügelt. Sie fand ihn enorm attraktiv.
    »Carla hat Ihnen erzählt, worum es geht?« Carla war Olivias Moderedakteurin. »Es ist für die Julinummer, ein letzter Bericht über Urlaubskleidung, ehe wir Tweed fürs Hochmoor machen.«
    »Ja. Sie hat was von Außenaufnahmen gesagt.«
    »Haben Sie eine Idee, wo wir es machen könnten?«
    »Wir haben von Ibiza gesprochen. Ich habe da gute Kontakte.«
    »Ibiza?«
    Er beeilte sich, Flexibilität zu zeigen. »Aber wenn Ihnen etwas anderes vorschwebt, kein Problem. Vielleicht Marokko.«
    »Nein.« Sie stieß sich vom Tisch ab und

Weitere Kostenlose Bücher