Die Muschelsucher
gekommen und arbeitete im Gemüsegarten. Der nächste Besucher war der Postbote in seinem kleinen roten Kastenwagen, und dann kam Mrs. Plackett gravitätisch angeradelt, mit ihrer Kittelschürze in der Einkaufstasche und der Neuigkeit, daß die Eisenwarenhandlung in Pudley eine Aktionswoche habe und alle Preise heruntergesetzt seien, und warum Mrs. Keeling nicht hinfahre, um eine neue Kohlenschaufel zu kaufen. Sie diskutierten dieses wichtige Thema, als Antonia erschien und mit Mrs. Plackett bekanntgemacht wurde. Sie tauschten Artigkeiten aus und berichteten einander dann, was sie das Wochenende über gemacht hatten. Dann holte Mrs. Plackett den Staubsauger, Staubwedel und Staubtücher und stieg damit die Treppe hinauf. Montags machte sie immer die Schlafzimmer gründlich. Antonia fing an, Speck für ihr Frühstück zu braten, und Penelope ging ins Wohnzimmer, machte hinter sich die Tür zu und setzte sich an den Sekretär. Es war zehn Uhr. Sie wählte die Nummer. »Boothby’s Kunstauktionen. Kann ich Ihnen helfen?«
»Könnte ich bitte Mr. Roy Brookner sprechen?«
»Einen Moment bitte.« Penelope wartete. Sie war ein wenig nervös. »Roy Brookner.« Eine tiefe Stimme, kultiviert, sehr angenehm. »Guten Morgen, Mr. Brookner. Mein Name ist Keeling, Penelope Keeling, ich rufe aus Gloucestershire an. Sie hatten letzte Woche in der Sunday Times eine Annonce über viktorianische Malerei. Mit Ihrem Namen und der Telefonnummer.«
»Ja?«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht irgendwann in nächster Zeit hier in der Gegend wären?«
»Haben Sie etwas, das Sie mir zeigen möchten?«
»Ja. Einige Bilder von Lawrence Stern.«
Ein ganz, ganz kurzes Zögern. »Lawrence Stern?« wiederholte er. »Ja.«
»Sind Sie sicher, daß sie von Lawrence Stern sind?« Sie lächelte. »Ja, ganz sicher. Lawrence Stern war mein Vater.« Wieder eine kaum merkliche Pause. Sie meinte zu sehen, wie er nach seinem Notizblock langte und seinen Füller aufschraubte. »Würden Sie mir bitte Ihre Adresse geben?« Sie tat es. »Und Ihre Telefonnummer?« Sie tat es ebenfalls. »Ich schaue nur rasch in meinen Terminkalender. Wäre diese Woche zu früh?«
»Je eher, desto besser.«
»Sagen wir, Mittwoch? Oder Donnerstag?«
Penelope überlegte, plante blitzschnell. »Donnerstag wäre mir lieber. «
»Um welche Zeit würde es Ihnen passen?«
»Am frühen Nachmittag? Gegen zwei?«
»Sehr gut. Ich muß mir in Oxford etwas ansehen. Ich kann es auf den Vormittag legen und anschließend zu Ihnen kommen.«
»Fahren Sie Richtung Pudley, das ist am leichtesten. Temple Pudley ist dann ausgeschildert.«
»Ich werde den Weg schon finden«, versicherte er ihr. »Donnerstag gegen zwei. Vielen Dank für den Anruf, Mrs. Keeling. Auf Wiedersehen.«
Während sie auf ihn wartete, machte sie sich im Wintergarten zu schaffen, goß ein Alpenveilchen und schnitt welke
Geranienblüten und braune Blätter ab. Es war windig geworden, und die heftigen Böen aus dem Osten trieben große Wolken vor sich her, so daß die Sonne alle paar Augenblicke verdeckt wurde. Die früh eingetretene Wärme hatte jedoch ihre Wirkung getan, denn auf der Obstwiese wiegten sich gelbe Narzissen im Wind, die ersten blassen Primelblüten hatten sich geöffnet, und die klebrigen Knospen der Kastanie platzten auf und gaben das zarte Grün der jungen Blätter frei. Sie hatte sich der Bedeutung des Besuchs entsprechend angezogen und versuchte sich - um die Zeit zu vertreiben -vorzustellen, wie Mr. Brookner wohl aussehen würde. Da sie nicht mehr als seinen Namen wußte und nur seine Stimme kannte, hatte sie wenig Anhaltspunkte und kam alle paar Augenblicke zu einem anderen Ergebnis. Er konnte sehr jung sein, ein neunmalkluger Studententyp mit Stirnglatze und rosa Fliege. Er war sicher ein älterer Herr, ein Gelehrter mit beeindruckendem Wissen. Nein. Er würde ein aalglatter Geschäftsmann mit dem Verstand einer Rechenmaschine sein und in einem fort Kunsthändlerkauderwelsch reden. Kurz nach zwei Uhr hörte sie, wie eine Wagentür zugeschlagen wurde, und danach klingelte es. Sie stellte die Gießkanne hin und ging durch die Küche, um ihn hereinzulassen. Als sie die Tür öffnete, sah sie nur seinen Rücken, denn er hatte sich umgedreht und stand auf dem Kiesweg, wohl um die malerische Umgebung zu betrachten oder den ländlichen Frieden auf sich wirken zu lassen. Er drehte sich sofort zu ihr um. Ein sehr großer und distinguierter Herr mit dunklem, aus der hohen Stirn nach hinten
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