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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sein Gesichtsausdruck sagte ihr alles, was sie wissen wollte. Sie lächelte, und das Lächeln ließ ihre dunklen Augen aufleuchten, und einen kurzen Augenblick lang sah er die schöne junge Frau, die sie einmal gewesen sein mußte. Und ihm kam der Gedanke, daß er sich, wenn er zur selben Zeit jung gewesen wäre wie sie, wahrscheinlich in sie verliebt hätte. Er sagte: »Woher kommen sie?«
    »Ich habe sie seit fünfundzwanzig Jahren. Sie waren die ganze Zeit hinten in meinem Kleiderschrank versteckt.« Er runzelte die Stirn. »Aber woher haben Sie sie?«
    »Sie waren im Atelier meines Vaters, im Garten unseres Hauses in der Oakley Street.«
    »Weiß irgend jemand etwas von ihrer Existenz?«
    »Ich glaube nicht. Aber ich habe den Verdacht, Noel - das ist mein Sohn - vermutet aus irgendeinem Grund, daß es sie gibt. Ich habe keine Ahnung, warum er es vermutet. Und ich bin nicht einmal ganz sicher, daß er es tut.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Er hat oben auf dem Speicher herumgesucht und alles sortiert und ausgeräumt. Und danach hatte er sehr schlechte Laune, ganz so, als ob er irgend etwas gesucht und nicht gefunden hätte. Ich bin sicher, daß er etwas suchte, und ich glaube, es waren die Skizzen.«
    »Es klingt fast so, als ob er sich über ihren Wert klargewesen ist.« Er langte nach unten und nahm die nächste Skizze. »Amorettas Garten. Wie viele sind es insgesamt?«
    »Vierzehn.«
    »Sind sie versichert?«
    »Nein.«
    »Ist das der Grund, weshalb Sie sie versteckt haben?«
    »Nein. Ich habe sie versteckt, weil ich nicht wollte, daß Ambrose sie fand.«
    »Ambrose?«
    »Mein Mann.« Sie seufzte. Ihr Lächeln erstarb, und der strahlende Schimmer der Jugend, der ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt sekundenlang wie verzaubert hatte, war erloschen. Sie war wieder sie selbst, eine attraktive grauhaarige Frau in den Sechzigern, müde vom vielen Stehen. Sie entfernte sich vom Kamin und setzte sich in die Sofaecke, legte den Arm auf die Rückenlehne. »Sehen Sie, wir haben nie Geld gehabt. Das war das eigentliche Problem, der Grund für alle Schwierigkeiten.«
    »Haben Sie mit Ihrem Mann in der Oakley Street gewohnt?«
    »Ja. Nach dem Krieg. Ich war während des ganzen Kriegs in Cornwall, weil ich ein Baby zu versorgen hatte. Und dann kam meine Mutter bei einem Bombenangriff ums Leben, und ich blieb, weil ich nun auch für Papa sorgen mußte. Er hat mir das Haus in der Oakley Street überschrieben. und.« Sie lachte plötzlich verzagt und schüttelte den Kopf. »Zu kompliziert. Es ergibt keinen Sinn. Sie können es unmöglich verstehen.«
    »Sie könnten am Anfang anfangen und alles der Reihe nach bis zum Ende erzählen.«
    »Das würde den ganzen Tag dauern.«
    »Ich habe den ganzen Tag Zeit.«
    »Oh, Mr. Brookner, ich würde Sie zu Tode langweilen.«
    »Sie sind die Tochter von Lawrence Stern«, sagte er. »Sie könnten mir das Telefonbuch von vorn bis hinten vorlesen, und ich würde alles faszinierend finden.«
    »Sie sind wirklich sehr nett. In dem Fall.«
    »1945 war mein Vater achtzig Jahre alt. Ich war fünfundzwanzig, und ich war mit einem Oberleutnant zur See verheiratet und hatte eine vierjährige Tochter. Ich war eine Zeitlang beim Frauen-Marinehilfskorps gewesen - dort hatte ich Ambrose kennengelernt - , doch als ich merkte, daß ich schwanger war, sorgte ich dafür, daß ich entlassen wurde, und ging nach Porthkerris zurück. Ich blieb, wie gesagt, bis zum Ende des Krieges dort. Ich sah Ambrose in all den Jahren kaum. Er war die meiste Zeit auf See, im Atlantik und dann im Mittelmeer und zuletzt im Fernen Osten. Ich fürchte, es machte mir nicht viel aus. Wir hatten eine typische Kriegsaffäre gehabt, eine Beziehung, die sich in Friedenszeiten nie zu etwas entwickelt hätte.
    Außerdem war Papa da. Er war immer ein unglaublich jugendlicher und lebenslustiger Mann gewesen, aber als Sophie gestorben war, wurde er urplötzlich von einem Tag auf den anderen alt, und es kam einfach nicht in Frage, daß ich ihn allein ließ. Aber dann war der Krieg zu Ende, und alles änderte sich. Die Männer kamen nach Haus, und Papa sagte, es sei höchste Zeit, daß ich zu meinem Mann ginge. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich es nicht wollte, und da sagte er, daß er mir das Haus in der Oakley Street überschrieben habe, und so würde ich immer ein Dach über dem Kopf haben, Sicherheit für meine Kinder und finanzielle Unabhängigkeit. Danach hatte ich keinen Vorwand mehr, um zu bleiben. Nancy und ich verließen

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