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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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an den Scheiten über dem Papier zu lecken begannen, richtete sich dann auf, trat zu ihrem Sekretär und suchte die Boothby’s-Anzeige hervor, die sie aus der Zeitung geschnitten hatte, als Noel sie vor einer Woche darauf aufmerksam gemacht hatte. Rufen Sie Mr. Roy Brookner an. Sie legte sie auf die Schreibunterlage, stellte ihren Briefbeschwerer darauf und ging dann in die Küche zurück. Sie nahm ihr kleines, scharfes Gemüsemesser aus der Besteckschublade und ging nach oben in ihr Schlafzimmer, wo nun das goldene Licht der Nachmittagssonne durch das Westfenster fiel, die silbernen Leuchter aufblitzen ließ und vom Spiegel und den gerahmten Fotografien reflektiert wurde. Sie legte das Messer auf die Frisierkommode und öffnete die Türen des gewaltigen viktorianischen Kleiderschranks, der fast bis an die niedrige Decke reichte. Der Schrank war voll. Sie nahm alle ihre Sachen heraus und legte sie, einen Armvoll nach dem anderen, auf das Bett. Sie mußte sie so verteilen, daß die einzelnen Haufen nicht zu groß wurden und nicht umkippten, und zum Schluß war nichts mehr von der gehäkelten Tagesdecke zu sehen, und auf dem Bett stapelten sich alle erdenklichen Kleidungsstücke. Es sah aus wie eine Altkleiderspende, die bei einem Wohltätigkeitsbasar versteigert werden sollte, oder wie die Damengarderobe einer riesigen verrückten Party.
    Der Schrank war nun leer, und die Rückwand lag frei. Sie war vor vielen Jahren mit einer dunklen Prägetapete beklebt worden, doch unter dem Muster konnte man Unregelmäßigkeiten ausmachen: die Bretter und Leisten des soliden alten Möbelstücks. Penelope nahm das Messer und langte in den Schrank, fuhr mit den Fingern über die Tapete und die Unebenheiten darunter, tastete nach der Stelle, die sie suchte. Als sie sie gefunden hatte, steckte sie das Messer hinein und zog es nach oben, durchschnitt das Papier, als öffnete sie einen Umschlag. Sie schätzte sorgfältig ab, wie lang die Schnitte waren. Sechzig Zentimeter senkrecht, einen Meter waagerecht, dann wieder sechzig Zentimeter senkrecht. Das an drei Seiten aufgetrennte Tapetenstück wellte sich und klappte dann herunter, um den Gegenstand freizugeben, der die letzten fünfundzwanzig Jahre dahinter versteckt gewesen war: eine uralte, abgegriffene Zeichenmappe, mit einem Bindfaden zusammengebunden und mit Pflasterstreifen an die Mahagonibretter geklebt.
    An jenem Abend, in London, rief Olivia ihren Bruder an. »Wie ist es gegangen?«
    »Ganz gut. Wir haben alles geschafft.«
    »Hast du etwas Aufregendes gefunden?«
    »Nein. Absolute Fehlanzeige.«
    »Oh. Herzliches Beileid.« Ihre Stimme klang belustigt, und er verwünschte sie stumm. »All die harte Arbeit für nichts. Mach dir nichts draus. Vielleicht hast du das nächste Mal mehr Glück. Wie geht’s Antonia?«
    »Okay. Sie scheint eine Schwäche für den Gärtner zu haben.« Er hatte gehofft, sie zu schockieren. »Oh, das ist gut«, sagte Olivia. »Wie ist er?«
    »Abartig.«
    »Abartig? Meinst du schwul?«
    »Nein. Ich meine eigenartig. Ein komischer Vogel. Nichts paßt zusammen. Er kommt aus einer guten Familie, hat ein Internat besucht und gräbt bei anderen Leuten den Garten um. Ist doch komisch, nicht? Und noch etwas - er fährt nicht Auto und rührt keinen Tropfen Alkohol an. Und er hat kein einziges Mal gelächelt. Nancy ist überzeugt, daß er etwas verbirgt, und ich bin ausnahmsweise einer Meinung mit ihr.«
    »Mag Mama ihn?«
    »O ja. Sehr. Sie behandelt ihn wie einen verlorenen Sohn.« »In dem Fall würde ich mir keine Sorgen machen. Mama ist nicht dumm. Wie geht es ihr?«
    »Gut, wie üblich.«
    »Nicht zu erschöpft?«
    »Soweit ich sehen konnte, nicht.«
    »Du hast doch nichts von den Skizzen gesagt? Sie erwähnt? Sie danach gefragt?«
    »Kein Wort. Wenn sie jemals existierten, hat sie sie wahrscheinlich vergessen. Du weißt ja, wie gut sie weghören kann.« Er hielt inne und sagte dann beiläufig: »Nancy war zum Essen da. Sie fing an zu erzählen, daß George gesagt hat, das Haus müsse neu versichert werden. Es gab einen kleinen Streit.«
    »O Noel.«
    »Du weißt ja, wie sie ist. Ein Trampeltier. Wie ein Elefant im Porzellanladen.«
    »Hat Mama sich aufgeregt?«
    »Ein wenig. Ich habe die Wogen geglättet. Aber sie ist heute noch dickköpfiger als früher.«
    »Hm, es ist natürlich ihre Sache. Jedenfalls vielen Dank, daß du Antonia mitgenommen hast.«
    »War mir ein Vergnügen.«
    Wieder Montag morgen. Als Penelope nach unten ging, war Danus schon

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