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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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und habe Kinder. Ich würde es verstehen.«
    »Ich bin auch verheiratet, und ich habe ein Kind.«
    »Ich weiß.«
    »Und ich habe seit Jahren nicht mehr geweint.« Er griff zu seiner Brusttasche und knöpfte sie auf. Er holte eine Fotografie heraus. »Einer meiner Sergeanten hat mir dieses Bild gegeben. Er war der Lehrgangsfotograf, und er hat es aufgenommen, als sie alle in Boscarben waren. Er dachte, ich dachte. Sie würden es vielleicht gern haben.«
    Er gab es ihr. Penelope sah auf das Foto hinunter. Sah Richard, der sich gerade umdrehte und über seine Schulter hinwegblickte, dabei unvermittelt in die Kamera sah und lächelte. In Uniform, aber barhäuptig, mit einem aufgerollten Kletterseil über der Schulter. Es mußte ein windiger Tag gewesen sein, wie heute, denn sein Haar war zerzaust. Im Hintergrund war der lange Horizont des Meeres. Sie sagte: »Das ist sehr freundlich. Danke. Ich hatte kein Bild von ihm.«
    Er schwieg. Sie standen da, ohne daß ihnen noch etwas zu sagen einfiel.
    Zuletzt fragte er: »Sind Sie. Kommen Sie zurecht?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich gehe dann. Es sei denn, ich könnte noch etwas für Sie tun.« Sie überlegte. »Ja. Doch, Sie könnten etwas tun. Mein Vater ist im Haus, im Wohnzimmer. Sie können es leicht finden. Würden Sie bitte zu ihm gehen und es ihm sagen?«
    »Soll ich das wirklich?«
    »Irgend jemand muß es tun. Und ich fürchte, ich habe jetzt nicht die Kraft dazu.«
    »Gut.«
    »Ich komme gleich nach. Ich warte nur so lange, bis Sie es ihm gesagt haben, und dann komme ich nach.«
    Er ging. Den Weg hinauf, die Stufen hoch, durch die Tür. Nicht nur ein freundlicher Mann, auch ein mutiger. Sie blieb mit dem Strauß Minze in der Hand und dem Foto von Richard in der anderen stehen, wo er sie gelassen hatte. Sie dachte an den schrecklichen Morgen des Tages, als Sophie gestorben war, und wie sie geweint und mit dem Schicksal gehadert hatte, und sehnte sich danach, jetzt wieder von einer solchen Flut von Emotionen überwältigt zu werden. Aber es kam nichts. Sie war einfach wie taub und kalt wie Eis. Sie sah auf Richards Gesicht. Nimmermehr. Nie wieder. Nichts mehr übrig. Sie sah sein Lächeln. Hörte seine Stimme, die ihr vorlas.
    Sie erinnerte sich an die Worte. Sie waren urplötzlich da und füllten ihre Gedanken wie ein vergessen geglaubtes Lied.
    ... der Würfel ist gefallen,
    Später wird Zeit sein,
    Bilanz zu ziehen, später wird die Sonne scheinen,
    Und die Gleichung wird endlich aufgehen.
    Später wird die Sonne scheinen. Das muß ich Papa sagen, dachte sie. Und es war so gut wie irgendein Ansatzpunkt, um den Rest von Leben anzupacken, der nun noch vor ihr lag.

Podmore’s Thatch. Ein Vogel sang, und sein Zwitschern durchdrang die Stille des grauenden Morgens. Das Feuer war ausgegangen, aber die Lampe über den Muschelsuchern brannte noch, wie sie die ganze Nacht gebrannt hatte. Penelope hatte nicht geschlafen, aber nun bewegte sie sich wie jemand, der aus einem langen und ungestörten Traum erwacht ist. Sie streckte unter der dicken Wolldecke die Beine aus, reckte die Arme und rieb sich die Augen. Sie schaute sich um, und in dem gedämpften Lichtschein sah sie ihr Wohnzimmer, die beruhigende Sicherheit ihrer persönlichen Besitztümer, Blumen, Pflanzen, Sekretär, Bilder, das Fenster, das sich auf ihren Garten öffnete. Sie sah die unteren Äste der Kastanie, die Knospen, die sich noch nicht zu Blättern geöffnet hatten. Sie hatte nicht geschlafen, aber das lange Wachen hatte sie nicht erschöpft, im Gegenteil, sie fühlte sich durchdrungen von einer Zufriedenheit, einer inneren Kraft, die vielleicht von der seltenen Lust der uneingeschränkten Erinnerung herrührte.
    Nun war sie am Ende angelangt. Das Spiel war vorbei. Die Illusion eines Theaters drängte sich auf. Die Rampenlichter erloschen allmählich, und in dem ersterbenden Licht wandten die Schauspieler sich um und traten von der Bühne ab. Doris und Ernie, so jung, wie sie nie wieder sein würden. Und die alten Penberths, die Trubshots und die Watson-Grants. Und Papa. Alle tot. Längst tot. Zuerst Richard. Sie erinnerte sich an sein Lächeln und wurde sich bewußt, daß die Zeit, die große Heilerin, endlich ihr Werk vollbracht hatte und daß das Antlitz der Liebe nun, nach all den Jahren, nicht mehr quälenden Kummer und Bitterkeit heraufbeschwor. Statt dessen war sie einfach dankbar. Denn wie unsäglich leer wäre die Vergangenheit, wenn sie sich nicht an ihn erinnern könnte. Besser, man hat geliebt

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