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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Papier.
    Irgendwo in England, 20. Mai 1944
    Meine geliebte Penelope!
    Ich habe mich in den letzten paar Wochen ein dutzendmal hingesetzt, um Dir zu schreiben. Jedesmal kam ich nur höchstens vier Zeilen weit und wurde dann vom Telefon, einer Durchsage, einem Klopfen an der Tür oder irgendeiner dringenden Sache unterbrochen.
    Aber jetzt ist an diesem gesegneten Ort endlich ein Augenblick gekommen, wo ich eine Stunde ungestört sein werde. Ich habe Deine Briefe alle erhalten und mich sehr darüber gefreut. Ich habe sie immer bei mir, wie ein liebeskranker Schuljunge, und lese sie wieder und wieder, wie oft, kann ich nicht mehr zählen. Wenn ich nicht bei Dir sein kann, kann ich Deiner Stimme lauschen.
    Aber ich habe so vieles zu sagen. Nur weiß ich nicht, wo ich anfangen soll, und es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, worüber wir gesprochen haben und wann wir schwiegen. Dieser Brief geht um das, was ungesagt geblieben ist. Du wolltest nie über Ambrose reden, und als wir in Tresillick waren und unsere eigene kleine Welt bewohnten, schien es nicht viel Sinn zu haben. Aber ich habe gerade in letzter Zeit viel an ihn denken müssen, und es steht fest, daß er die letzte Schranke zwischen uns und unserem Glück ist. Das klingt furchtbar egoistisch, aber man kann einem anderen Mann nicht die Frau fortnehmen und ein Heiliger bleiben. Und deshalb eilt mein Verstand voraus - fast von selbst. Zur Konfrontation und zum Geständnis, zu Schuld, Anwälten, Gericht und letztendlich zur Scheidung.
    Es ist durchaus möglich, daß Ambrose sich wie ein Gentleman benimmt und in eine einvernehmliche Scheidung einwilligt. Aber ich sehe, offen gesagt, keinen Grund, warum er das tun sollte, und ich bin absolut bereit, vor Gericht zu dem zu stehen, was ich getan habe, wenn er wegen Untreue auf Scheidung klagt. In dem Fall wird er Nancy sehen dürfen, aber das ist eine Sache, die wir verkraften müssen, wenn es soweit ist. Wichtig ist nur, daß wir Zusammensein können, und früher oder später - je früher, um so besser, heiraten werden. Der Krieg wird irgendwann zu Ende sein. Ich werde demobilisiert werden und mit einem Dankeschön und einer kleinen Abfindung ins Zivilleben zurückkehren. Kannst Du Dich mit dem Gedanken anfreunden, die Frau eines Lehrers zu werden? Das ist nämlich der einzige Beruf, den ich ausüben möchte. Wohin wir gehen werden, wo wir wohnen werden und wie es sein wird, kann ich nicht sagen, aber wenn ich eine Wahl hätte, würde ich gern wieder in den Norden gehen, um in der Nähe der Seen und Berge zu sein.
    Ich weiß, all das scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Vor uns liegt ein schwerer Weg mit vielen Hindernissen, die wir nacheinander überwinden müssen. Aber auch eine Wanderung von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt, und ein bißchen Nachdenken hat noch keiner Expedition geschadet. Ich habe all dies eben noch einmal durchgelesen und habe den Eindruck, daß es wie der Brief eines Menschen klingt, der erwartet, er würde ewig leben. Aus irgendeinem Grund habe ich keine Angst, daß ich den Krieg nicht überleben werde. Der Tod, der letzte Feind, scheint in weiter Ferne zu liegen, irgendwo jenseits von Alter und Hilflosigkeit. Und ich kann einfach nicht glauben, daß das Schicksal, das uns zusammengeführt hat, nicht dafür sorgen wird, daß wir zusammenbleiben. Ich denke an Euch alle in Cam Cottage und stelle mir vor, was Ihr tut, und wünsche, ich könnte bei Euch sein, mit Euch lachen und an all den Dingen teilhaben, die in dem Haus geschehen, das ich im Lauf der Zeit immer mehr als mein zweites Heim betrachtet habe. Es war alles gut, in jedem Sinn des Wortes. Und in unserem Leben geht nichts Gutes wirklich verloren. Es bleibt ein Teil von uns, wird ein Teil unserer Persönlichkeit. Deshalb begleitet mich ein Teil von Dir überallhin. Und ein Teil von mir gehört für immer zu Dir.
    Ich liebe Dich.
    Richard
    Am Dienstag, dem 6. Juni, landeten die Alliierten in der Normandie. Die Zweite Front wurde errichtet, und die letzte lange Schlacht begann. Das Warten war vorüber.
    Der 11. Juni war ein Sonntag.
    Doris hatte sich in einer Anwandlung von Religiosität mit ihren Jungen zur Kirche aufgemacht und brachte Nancy zur Sonntagsschule, so daß Penelope allein in der Küche war und das Essen vorbereitete. Diesmal hatte sie beim Metzger das große Los gezogen, denn er hatte eine kleine Lammkeule unter seinem Tresen hervorgezaubert. Sie schmorte nun, umgeben von goldenen Kartoffeln, im Backofen

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