Die Muschelsucher
und verbreitete einen köstlichen Geruch. Die Karotten kochten vor sich hin, der Kohl war geschnitten, und zum Nachtisch würde es Rhabarber mit Puddingcreme geben. Es war kurz vor zwölf. Ihr fiel ein, daß sie Minzsoße machen könnte. Ohne die Küchenschürze abzubinden, ging sie zur Hintertür hinaus und schritt den Hang zur Obstwiese hoch. Eine frische Brise wehte. Doris hatte einen Berg Wäsche gewaschen und aufgehängt, und die Laken und Handtücher flatterten nun wie schlecht gesetzte Segel an der Leine. Die Hühner und Enten, die in den Auslauf gesperrt waren, sahen Penelope kommen und fingen in Erwartung von Futter ein aufgeregtes Gegacker und Geschnatter an. Sie erreichte das Beet mit Minze, pflückte einige intensiv riechende Zweige, und als sie durch das hohe Gras zum Haus zurückging, hörte sie, wie die Pforte unten geöffnet und geschlossen wurde. Die Kirchgänger konnten noch nicht zurück sein, und so nahm sie den Weg zu der kleinen Steintreppe, die zum vorderen Rasen führte, und wartete dort auf den Besuch, wer immer es sein mochte. Sie sah einen Mann, der sich sehr langsam näherte. Er war großgewachsen und in Uniform. Eine grüne Baskenmütze. Einen Sekundenbruchteil, lange genug, daß ihr Herz einen Satz machen konnte, dachte sie, es sei Richard, sah aber sofort, daß er es nicht war. Colonel Mellaby erreichte das Ende des Wegs und blieb stehen. Er hob den Kopf und sah, daß sie ihn beobachtete.
Auf einmal war alles sehr still. Wie ein Film, der plötzlich nicht mehr weiterläuft, weil der Projektor defekt ist. Sogar die Brise hörte auf. Kein Vogel sang. Der grüne Rasen lag zwischen ihnen wie ein Schlachtfeld. Sie stand bewegungslos da und wartete, daß er den ersten Schritt tat.
Er tat ihn. Mit einem Klicken und Summen fing der Film wieder an. Sie ging ihm entgegen. Er sah verändert aus. Sie hatte ihn noch nie so blaß und hager gesehen. Sie sprach als erste. »Colonel Mellaby.«
»Mein liebes Kind.« Er klang wie General Watson-Grant in seinen besonders netten Momenten, und von dieser Sekunde an wußte sie, was er ihr zu sagen hatte. Sie sagte: »Es ist Richard?«
»Ja. Es tut mir so leid.«
»Was ist geschehen?«
»Es ist eine schlechte Nachricht.«
»Sagen Sie es.«
»Richard ist... Er ist gefallen. Er ist tot.«
Sie wartete darauf, daß sie etwas fühle. Sie fühlte nichts. Nur den Strauß Minze, den ihre Hand umklammert hielt, nur eine Haarsträhne auf der Wange. Sie hob die Hand und strich sie zur Seite. Ihr langes Schweigen lag wie eine große unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen. Sie wußte es, und es tat ihr seinetwegen leid, aber sie konnte es nicht ändern.
Endlich fuhr er mit übermenschlicher und sichtbarer Anstrengung fort. »Ich habe es heute morgen gehört. Bevor er abfuhr, bat er mich. Er sagte, wenn ihm etwas passiere, solle ich sofort hierher kommen und es Ihnen sagen.«
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. »Es ist sehr freundlich von Ihnen.« Es war nicht ihre Stimme. »Wann ist es geschehen?«
»Am Tag der Landung. Er fuhr mit den Männern rüber, die er ausgebildet hatte. Das zweite US-Rangerregiment.«
»Er mußte nicht mit?«
»Nein. Aber er wollte bei ihnen sein. Und sie waren stolz, daß er bei ihnen war.«
»Was ist geschehen?«
»Sie landeten bei Pointe de Hue, fast an der Spitze der Halbinsel von Cherbourg, an dem Abschnitt, dem wir den Decknamen Omaha Beach gegeben haben. Die Erste Division der Vereinigten Staaten.« Seine Stimme war jetzt fester, er sprach sachlich, über Dinge, von denen er etwas verstand. »Nach den mir vorliegenden Informationen hatten sie gewisse Schwierigkeiten mit der Ausrüstung. Die raketengetriebenen Greifhaken wurden bei der Überfahrt naß und funktionierten nicht richtig. Aber sie sind die Klippen hinaufgeklettert, und sie haben die deutsche Batterie oben genommen. Sie haben ihren Befehl ausgeführt.«
Sie dachte an die jungen Amerikaner, die den Winter hier in Porthkerris verbracht hatten, einen Ozean entfernt von ihrer Heimat und ihrer Familie. »Gab es viele Tote?«
»Ja. Bei dem Angriff ist mindestens die Hälfte gefallen.« Auch Richard. Sie sagte: »Er hat nicht geglaubt, daß er sterben würde. Er sagte, der Tod, der letzte Feind, scheine noch in weiter Ferne zu liegen. Es ist gut, daß er das geglaubt hat, nicht wahr?«
»Ja.« Er biß sich auf die Lippe. »Wissen Sie, Kind, Sie brauchen jetzt nicht tapfer zu sein. Wenn Sie weinen möchten, wehren Sie sich nicht dagegen. Ich bin ein verheirateter Mann
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