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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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das kurze und sachliche Gespräch urplötzlich Erinnerungen wachgerufen hatte, die lange Zeit in einer Zwielichtzone ihres Bewußtseins geschlummert hatten. Sie hatte seit Monaten nicht mehr an Ibiza gedacht. Aber sie hatte einen »ländlichen Hintergrund« vorgeschlagen. »Mit Ziegen und Schafen und kräftigen, ausgemergelten Bauern beim Pflügen.« Sie sah das lange, niedrige Haus mit den roten Ziegeln, an dem sich Bougainvilleen und Weinreben hochrankten. Sie hörte Hähne krähen, das melodische Bimmeln von Kuhglocken. Sie roch das intensive Harz von Kiefern und Wacholder, einen Duft, der von einer warmen Brise vom Meer hergetragen wurde. Sie spürte wieder die brennende Kraft der Mittelmeersonne.

Olivia lernte Cosmo Hamilton während eines Urlaubs mit Freunden im Frühsommer 1979 bei einer Party auf einer Segeljacht kennen.
    Sie mochte keine Boote. Sie konnte die Enge nicht ertragen, das klaustrophobische Gefühl, mit zu vielen Leuten auf kleinstem Raum zusammengepfercht zu sein, die blauen Flecke, die man sich holte, wenn man an den Segelbaum oder den Bootskran stieß. Dieses Boot war eine Zehnmeterjacht, die draußen im Hafen ankerte und zu der ein Dingi mit Außenbordmotor gehörte. Olivia fuhr mit, weil die anderen fuhren, aber sie tat es nur widerwillig, und es war genauso schlimm, wie sie befürchtet hatte, zu viele Leute und kein Platz zum Sitzen, und alle waren peinlich aufgedreht und plumpfreundlich, tranken eine Bloody Mary nach der anderen und redeten über die Party, auf der alle gestern abend gewesen waren, außer Olivia und ihren Freunden.
    Sie stand mit ihrem Glas in der Hand zusammen mit ungefähr vierzehn anderen auf der Brücke der Jacht. Es war, als bemühe man sich in einem überfüllten Fahrstuhl darum, liebenswürdig miteinander zu plaudern. Ein anderer unverzeihlicher Nachteil von Booten bestand darin, daß man nicht einfach gehen konnte. Man konnte nicht aus dem Raum spazieren, das Haus verlassen, auf die Straße treten, das nächste Taxi an den Bordstein winken und nach Haus fahren. Man saß fest. Und noch dazu Angesicht zu Angesicht mit einem Mann mit fliehendem Kinn, der sich offenbar einbildete, sie tue nichts lieber, als sich anzuhören, daß er bei einem idiotischen Garderegiment gewesen war und die Strecke von irgendeinem Kaff in Hampshire nach Windsor mit seinem ziemlich schnellen Wagen in der und der Zeit schaffe.
    Olivia fühlte ein scheußliches Prickeln am ganzen Körper und kam zu dem Schluß, daß sie es nicht mehr aushalte. Als er sich kurz abwandte, um sein Glas neu füllen zu lassen, floh sie von der Brücke und kam auf dem Weg zum Bug an einem fast völlig nackten Mädchen vorbei, das sich auf dem Kajütendach sonnte. Auf dem Vorderdeck sah sie eine freie Ecke und setzte sich mit dem Rücken am Mast auf die Planken, um tief durchzuatmen. Die plärrenden Stimmen fuhren fort, ihr Ohr zu beleidigen, aber sie war wenigstens allein. Es war sehr heiß. Sie starrte kläglich aufs Meer hinaus. Ein Schatten fiel auf ihre Beine. Voll Furcht, den Gardisten aus Windsor zu sehen, blickte sie auf, aber dort stand der Mann mit Bart. Sie hatte ihn bemerkt, sobald sie an Bord geklettert war, aber sie hatten nicht miteinander gesprochen. Sein Bart war grau, aber seine Haare waren dicht und weiß, und er war sehr groß und sehnig und muskulös. Er trug ein weißes Hemd und verblichene, von der salzigen Luft ausgelaugte Jeans. Er sagte: »Möchten Sie noch einen Drink?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Möchten Sie allein sein?«
    Er hatte eine ausgesprochen angenehme Stimme. Sie fand, daß er nicht so aussah wie einer von den Männern, die von sich dachten, sie seien der Nabel der Welt. Sie sagte: »Nicht unbedingt.« Er ging neben ihr in die Hocke. Ihre Augen waren auf gleicher Höhe, und sie sah, daß die seinen genauso hell und wasserblau waren wie seine Jeans. Sein Gesicht war gefurcht und tiefbraun gebrannt, und sie fand, daß er wie ein Schriftsteller aussah. »Dann darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?« Sie zögerte, lächelte dann. »Warum nicht?«
    Er hieß Cosmo Hamilton. Er lebte auf der Insel, hatte seit fünfundzwanzig Jahren hier gelebt. Nein, er sei kein Schriftsteller. Zuerst habe er einen Jachtverleih geleitet und dann ein Londoner Reiseunternehmen vertreten, aber jetzt lebe er im Ruhestand.
    Olivias Interesse erwachte unwillkürlich. »Langweilen Sie sich nicht?«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil Sie nichts zu tun haben.«
    »Ich habe tausend Dinge zu tun.«
    »Sagen Sie zwei

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