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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Hausfront hoch. Sie sagte: »Es ist schöner, als ich mir hätte vorstellen können.«
    »Setz dich hin und genieße die Aussicht, während ich uns ein Glas Wein hole.«
    Es gab einen Tisch und einige Korbstühle, aber Olivia wollte sich nicht hinsetzen. Statt dessen lehnte sie sich an die weißgetünchte Mauer, wo einige Tontöpfe mit Geranien standen, deren Blüten einen zitronenartigen Duft verströmten, und ein Heer von winzigen Ameisen unermüdlich in geordneter Formation hin und her marschierte. Die Stille war grenzenlos, tief und intensiv. Als sie aufmerksam horchte, nahm sie die leisen, gedämpften Geräusche wahr, die zu dieser Stille gehörten. Das zufriedene Gackern der Hühner, die irgendwo hinten im Garten, wo man sie nicht sehen konnte, pickten und scharrten. Das leichte Rascheln der Blätter, die von der sanften Brise bewegt wurden.
    Eine vollkommen neue Welt. Sie waren nur wenige Kilometer gefahren, aber sie hätte tausend Meilen vom Hotel, von ihren Freunden, den Cocktails, dem überfüllten Swimming-pool, den geschäftigen Straßen und Boutiquen des Ortes, den grellen Lichtern und lärmenden Discos entfernt sein können. Und London, Venus, ihre Wohnung, ihr Job waren noch viel weiter fort, schienen auf einmal wie vergessene Träume eines Lebens, das nie real gewesen war, in einer unwirklichen Dimension zu verschwimmen. Sie hatte das Gefühl, daß sich überall in ihr ein Friede ausbreitete, wie in einem Gefäß, das zu lange leer gewesen war. Hier könnte ich bleiben. Eine leise Stimme, eine Hand, die an ihrem Ärmel zupfte. Dies ist ein Platz, wo ich bleiben könnte.
    Sie hörte, wie er hinter ihr die kleine Treppe herunterkam. Seine Sandalen klatschten auf die Steinstufen. Sie drehte sich um und sah ihn in die dunkle Türöffnung treten (er war so groß, daß er instinktiv den Kopf einzog). Er trug ein Tablett mit einer Flasche Wein und zwei hohen Gläsern, und die Sonne stand hoch, und sein Schatten war sehr schwarz. Er stellte das Tablett hin, langte in die Tasche seiner Jeans und holte eine Zigarre heraus, die er mit einem Streichholz anzündete.
    Während er es tat, sagte sie: »Ich wußte gar nicht, daß du rauchst.«
    »Nur Zigarren. Dann und wann. Ich habe früher fünfzig Zigaretten am Tag geraucht, aber ich habe schließlich aufgehört. Heute ist aber eine gute Gelegenheit, um über die Stränge zu schlagen.« Er hatte die Flasche, an der das Kondenswasser abperlte, bereits geöffnet und schenkte nun ein. Er reichte ihr ein gefülltes Glas. Es war eiskalt.
    »Worauf wollen wir trinken?« fragte er. »Auf dein Haus, ich weiß nicht, ob es einen Namen hat.«
    »Ca’n D’alt.«
    »Also auf Ca’n D’alt. Und seinen Besitzer.« Sie tranken. Er sagte: »Ich habe dich vom Küchenfenster aus beobachtet. Du hast dich überhaupt nicht bewegt. Ich hätte gern gewußt, was du dachtest.«
    »Nur daß. nur daß die Realität hier oben ganz. ganz unwirklich wird.«
    »Ist das gut?«
    »Ich glaube, ja. Ich.« Sie hielt inne, suchte das richtige Wort, weil es auf einmal ungeheuer wichtig war, die richtigen Worte zu gebrauchen. »Ich bin kein domestiziertes Wesen. Ich bin dreiunddreißig und Redakteurin bei einer Modezeitschrift, die Venus heißt. Ich habe lange gebraucht, um dorthin zu kommen. Ich habe seit dem Examen in Oxford für meinen Lebensunterhalt und meine Unabhängigkeit gearbeitet, und ich sage es dir nicht etwa deshalb, weil ich möchte, daß du Mitleid mit mir hast. Ich habe nie etwas anderes gewollt. Ich wollte nie verheiratet sein und Kinder haben. Ich wollte nichts, was von Dauer ist.«
    »Ach?«
    »Es ist nur, daß. Ich glaube, dies ist ein Platz, an dem ich bleiben könnte. Hier käme ich mir nicht gefangen oder für immer verwurzelt vor. Ich weiß nicht, warum.« Sie lächelte ihn an. »Ich weiß wirklich nicht, warum.«
    »Dann bleib«, sagte er. »Heute? Heute nacht?«
    »Nein. Bleib einfach.«
    »Meine Mutter hat mich immer davor gewarnt, unbefristete Einladungen anzunehmen. Sie sagte, es müsse immer ein Ankunftsdatum und ein Abreisedatum geben.«
    »Sie hatte ganz recht. Sagen wir, das Ankunftsdatum ist heute, und das Abreisedatum kannst du selbst bestimmen.« Sie blickte ihn an, schätzte Motive ein und rechnete sich Konsequenzen aus. Schließlich sagte sie: »Du forderst mich auf, zu dir zu ziehen?«
    »Ja.«
    »Und meine Arbeit? Es ist ein guter Job, Cosmo. Gut bezahlt und verantwortungsvoll. Ich habe mein ganzes Leben gebraucht, um dorthin zu kommen, wo ich bin.«
    »In dem

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