Die Muschelsucher
hätte kaum größer sein können. »Noel!«
»Hallo.« Er trug eine hellbraune Gabardinehose und einen himmelblauen Pullover und hatte sich ein Tuch mit roten Tupfen um den Hals geschlungen. Er war sonnengebräunt und sah ungemein attraktiv aus. Der Brief von Rose Pilkington war vergessen. »Wo kommst du denn her?«
»Aus Wales.« Er machte die Tür hinter sich zu. Sie hob den Kopf, da sie mit einem seiner hingehauchten Wangenküsse rechnete, aber er beugte sich nicht herunter, um sie zu umarmen, sondern baute sich vor dem Kamin auf, lehnte sich an die Einfassung und steckte die Hände in die Hosentaschen. Die Wand hinter seinem Kopf, wo früher Die Muschelsucher gehangen hatten, wirkte nackt und leer. »Ich war über das Osterwochenende dort. Bin gerade auf dem Rückweg nach London. Ich habe gedacht, es wäre nett, einmal vorbeizuschauen.«
»Das Osterwochenende? Aber heute ist Mittwoch.«
»Es war ein langes Wochenende.«
»Wie schön für dich. Hast du dich amüsiert?«
»Ja, sehr. Danke. Und wir war’s in Cornwall?«
»Wunderschön. Wir sind gegen fünf zurückgekommen. Ich habe noch nicht mal ausgepackt.«
»Und wo sind deine Reisebegleiter?« Seine Stimme hatte einen gereizten Unterton. Sie sah ihn scharf an, aber er wich ihrem Blick aus.
»Danus ist in Schottland. Er ist gestern mit dem Zug hingefahren. Und Antonia ist oben in meinem Zimmer. Sie ruft ihn gerade an, um ihm zu sagen, daß wir gut nach Hause gekommen sind.« Noel zog die Augenbrauen hoch. »Diese kleine Information läßt kaum Rückschlüsse darauf zu, was geschehen ist. Ich meine, daß er nach Schottland gefahren ist, scheint auf eine Verstimmung hinzudeuten. Trotzdem ruft Antonia ihn gleich nach eurer Rückkehr an. Verlangt das nicht eine Erklärung?«
»Da ist nichts groß zu erklären. Danus hat einen Termin in Edinburgh, den er wahrnehmen muß. So einfach ist das.« Noels Miene besagte, daß er ihr nicht glaubte. Sie beschloß, das Thema zu wechseln. »Möchtest du zum Essen bleiben?«
»Nein, ich muß weiter.« Aber er traf keine Anstalten aufzustehen.
»Einen Drink. Möchtest du nicht wenigstens einen Drink?«
»Nein, mir ist nicht danach.«
Sie dachte: Ich werde mich nicht von ihm einschüchtern lassen. Sie sagte: »Aber mir. Ich hätte gern einen WhiskySoda. Würdest du mir einen machen?«
Er zögerte und ging dann ins Eßzimmer. Sie hörte, wie er das Büfett öffnete und mit Flaschen hantierte. Sie schob die Briefe, die auf ihrem Schoß lagen, zu einem kleinen Stapel zusammen und legte sie auf den Beistelltisch neben dem Sessel. Als er zurückkam, sah sie, daß er es sich anders überlegt hatte, denn er brachte zwei Gläser mit. Er gab ihr eines und setzte sich wieder an den Kamin.
Er sagte: »Und Die Muschelsucher?«
Das war es also. Sie lächelte. »Hast du es von Olivia gehört oder von Nancy?«
»Von Nancy.«
»Nancy war sehr verletzt, als ich es ihr sagte. Persönlich beleidigt. Bist du das auch? Bist du gekommen, um mir das zu sagen?«
»Nein. Ich möchte nur wissen, was in Gottes Namen dich veranlaßt hat, so etwas zu tun.«
»Mein Vater hat mir das Bild geschenkt. Ich habe so ein Gefühl, als hätte ich es ihm einfach zurückgegeben, indem ich es dem Museum schenkte.«
»Hast du eine Vorstellung, was es wert ist?«
»Ich weiß, was es für mich wert ist. Was den Marktpreis betrifft, so ist es vorher nie ausgestellt und darum auch noch nie geschätzt worden.«
»Ich habe meinen Freund Edwin Mundy angerufen und ihm erzählt, was du getan hast. Er hat das Bild natürlich nie gesehen, aber er hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was es bei einer Versteigerung gebracht hätte. Weißt du, auf welche Summe er es geschätzt hat?«
»Nein, und ich will es auch gar nicht wissen.« Noel machte den Mund auf, um es ihr zu sagen, bekam aber einen so warnenden und fast furchterregenden gebieterischen Blick zugeworfen, daß er ihn wieder schloß und schwieg. »Du bist zornig«, sagte seine Mutter. »Weil du und Nancy aus irgendeinem Grund der Meinung seid, ich hätte etwas verschenkt, das eigentlich euch gehört. Es gehört euch nicht, Noel. Es hat euch nie gehört. Und was die beiden Tafelbilder angeht, so solltet ihr euch freuen, daß ich euren Rat befolgt habe. Ihr habt mich gedrängt, sie zu verkaufen, und ihr habt mich indirekt auf Boothby’s und Roy Brookner gebracht. Mr. Brookner hat einen Privatkäufer gefunden, der mir hunderttausend Pfund geboten hat. Ich habe angenommen. Das Geld ist überwiesen
Weitere Kostenlose Bücher