Die Muschelsucher
sie fürchtete sich davor, sie zu stellen, weil sie Angst vor den Antworten hatte. Sie betrachtete ihn schweigend. Als er die Zigarre angezündet hatte, warf er den Fidibus ins Feuer, drehte sich um, lehnte sich an den Kaminsims und sah sie an. Er sagte: »Du siehst richtig erschrocken aus.«
»Ich bin erschrocken, Cosmo. Ich kann es kaum glauben. Es geht gegen meine inneren Prinzipien. Das Haus zu besitzen, in dem man wohnt, schien mir immer sehr wichtig zu sein, beinahe wichtiger als alles andere. Es gibt einem Sicherheit in jedem Sinn des Wortes. Das Haus in der Oakley Street gehörte meiner Mutter, und deshalb haben wir uns als Kinder immer sicher und geborgen gefühlt. Niemand konnte es uns wegnehmen. Es war eines der schönsten Gefühle, die wir kannten - nach Haus kommen und die Tür hinter uns zu machen und wissen, daß wir daheim waren.«
Er ging nicht darauf ein, sondern fragte: »Gehört dir das Haus in London, in dem du wohnst?«
»Noch nicht. Aber wenn ich dem Bauträger in zwei Jahren endlich die letzte Rate gezahlt habe, wird es mir gehören.«
»Was für eine Geschäftsfrau du bist.«
»Man braucht keine Geschäftsfrau zu sein, um sich auszurechnen, daß es ziemlich töricht ist, fünfundzwanzig Jahre lang Miete zu zahlen und dann nichts dafür vorweisen zu können.«
»Du hältst mich für einen Idioten.«
»Nein, Cosmo. Ich glaube, ich kann verstehen, wie es dazu gekommen ist, aber ich bin trotzdem betroffen und mache mir Sorgen.«
»Um mich.«
»Ja, um dich. Mir ist eben klargeworden, daß ich die ganze Zeit hier bei dir gelebt habe, ohne ein einziges Mal daran zu denken, wovon wir gelebt haben.«
»Möchtest du es wissen?«
»Nur wenn du es mir sagen willst.«
»Von den Zinsen für ein paar Papiere, die mein Großvater mir hinterlassen hat, und von meiner Pension von der Army.«
»Und das ist alles?«
»Mehr oder weniger.«
»Und wenn dir etwas zustößt, stirbt die Pension mit dir.«
»Natürlich.« Er grinste sie an, um ein Lächeln auf ihrem ernsten und angespannten Gesicht zu provozieren. »Aber begrab mich bitte noch nicht. Ich bin erst fünfundfünfzig.«
»Und Antonia?«
»Was ich nicht habe, kann ich ihr auch nicht hinterlassen. Ich hoffe einfach, daß sie sich einen reichen Mann angelt, wenn ich ins Gras beiße.«
Bis jetzt hatten sie eine Auseinandersetzung gehabt, waren aber sachlich geblieben. Als er die letzten Worte gesagt hatte, platzte Olivia jedoch der Kragen, und sie verlor die Beherrschung. »Cosmo, was soll das heißen, hör um Gottes willen auf, wie ein Patriarch aus der viktorianischen Zeit zu reden, und verurteile deine Tochter nicht dazu, für den Rest ihres Lebens von irgendeinem Kerl abhängig zu sein. Sie sollte ihr eigenes Geld haben. Jede Frau sollte selbst etwas besitzen.«
»Ich habe gar nicht gewußt, daß Geld so wichtig für dich ist.«
»Es ist nicht wichtig für mich. Es ist nie wichtig gewesen. Es ist nur dann wichtig, wenn man es nicht hat. Und man kann damit schöne Dinge kaufen. Keine schnellen Autos oder Pelzmäntel oder Kreuzfahrten nach Hawaii, sondern wirklich gute Dinge, Unabhängigkeit und Freiheit und Würde. Und Wissen. Und Zeit.«
»Ist das der Grund, weshalb du dein Leben lang gearbeitet hast? Damit du den überheblichen Kerlen sagen kannst, was Sache ist? Damit du den viktorianischen Machos zeigen kannst, wer wirklich die Hosen anhat?«
»Das ist nicht fair! Du stellst es so hin, als wäre ich eine schlimme Emanze, eine aggressive Feministin mit einem Schild um den Hals, das die Männer abschrecken soll.«
Er reagierte nicht auf den Ausbruch, und sie schämte sich und wünschte, sie hätte die zornigen Worte nicht gesagt. Sie hatten sich noch nie richtig gestritten. Ihre Bitterkeit legte sich sofort, und die Vernunft gewann wieder die Oberhand. Sie bemühte sich, ruhig und sachlich zu bleiben, als sie seine Frage beantwortete. »Ja. Es ist einer der Gründe. Ich habe dir ja erzählt, daß mein Vater ziemlich verantwortungslos war. Er hatte keine starke Persönlichkeit, und er hat mich nie in irgendeiner Hinsicht beeinflußt. Ich war immer entschlossen, so zu werden wie meine Mutter, stark und auf niemanden angewiesen zu sein. Außerdem habe ich das Bedürfnis, etwas Kreatives zu tun, zu schreiben, und die Art von Journalismus, die ich bisher gemacht habe, befriedigt dieses Bedürfnis. Ich habe also Glück. Ich tue das, was ich gern tue, und werde dafür bezahlt. Aber das ist nicht alles. Es ist irgendein Zwang in mir, eine
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