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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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oder Wellington einhergehen, versagt geblieben waren. Noch heute, mit fast dreißig Jahren, haderte er deshalb mit seinem Schicksal. Nach der Schule eine Stelle zu finden, war kein Problem gewesen. Bei Keeling Sc Philips, dem alteingesessenen und angesehenen Verlagshaus am St. James’ Square, das der Familie seines Vaters gehörte, wartete bereits ein Posten auf ihn, und er hatte dort fünf Jahre gearbeitet, ehe er sich für eine hundertmal interessantere und viel besser bezahlte Tätigkeit in der Werbung entschieden hatte. Sein gesellschaftliches Leben war jedoch eine andere Sache, denn hier war er auf seine eigenen Fähigkeiten angewiesen. Er hatte zum Glück mehr als genug davon. Er war groß, attraktiv, sportlich und hatte sich schon als Junge eine aufrichtige und offene Art zugelegt, die andere schnell für ihn einnahm. Er verstand es, älteren Damen Komplimente zu machen und ältere Herren mit unaufdringlichem Respekt zu behandeln, und mit der Geduld und List eines gut ausgebildeten Spions verschaffte er sich ohne große Schwierigkeiten Zugang zur besseren Londoner Gesellschaft. Er stand seit Jahren auf der Liste der akzeptablen jungen Männer für Debütantinnenbälle, und während der Saison fand er nicht viel Schlaf, weil er jeden zweiten Tag im Morgengrauen nach Hause kam und gerade noch Zeit hatte, seinen Frack und sein gestärktes Hemd auszuziehen, zu duschen und hastig zu frühstücken, ehe er ins Büro mußte. Am Wochenende war er fast immer in Henley oder Cowes oder Ascot. Er wurde zum Skilaufen nach Davos und zum Angeln nach Sutherland eingeladen, und dann und wann war sein sympathisches Gesicht sogar in Hochglanzdruck in der Harper’s Queen zu bewundern: »Mr. Noel Keeling unterhält die Gastgeberin mit einem Bonmot. «
    All das war auf seine Art eine unstrittige Leistung. Aber es war auf einmal nicht mehr genug. Er hatte es satt. Er schien nirgends hinzukommen. Er wollte mehr.
    Immer, wenn er hier war, fiel ihm die Decke auf den Kopf. Die Wohnung schien ihn zu belauern wie eine depressive alte Verwandte, schien darauf zu warten, daß er irgend etwas unternahm. Er zog die Vorhänge zu und knipste die Lampe an, und nun sah alles ein klein wenig besser aus. Er nahm die Times aus der Manteltasche und warf sie auf den Tisch. Dann zog er den Mantel aus und legte ihn über eine Stuhllehne. Er ging in die Küche, schenkte sich einen doppelten Whisky ein und füllte das Glas mit Eiswürfeln aus dem Kühlschrank. Er ging wieder ins Wohnzimmer, ließ sich auf das Sofa fallen und schlug die Zeitung auf.
    Er wandte sich als erstes den gestrigen Börsennotierungen zu und sah, daß Consolidated Cables um einen Punkt gestiegen war. Dann schlug er die Rennseite auf. Scarlet Flower war als vierter durchs Ziel gegangen, was bedeutete, daß er um fünfzig Pfund ärmer war. Er las die Besprechung eines neuen Theaterstücks und dann die Auktionsberichte. Er sah, daß ein Millais bei Christie’s für fast achthunderttausend Pfund zugeschlagen worden war. Achthunderttausend.
    Bei dem bloßen Wort wurde ihm fast übel vor Frustration und Neid. Er legte die Zeitung hin und trank einen Schluck Whisky und dachte an den Lawrence Stern, Die Wasserträgerinnen, der nächste Woche bei Boothby’s versteigert werden würde. Er hatte, wie seine Schwester Nancy, nie etwas von den Bildern seines Großvaters gehalten, doch im Gegensatz zu ihr war ihm nicht entgangen, daß die Kunstwelt begonnen hatte, sich mehr und mehr für viktorianische Maler zu interessieren. Er hatte in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt, daß ihre Werke bei Auktionen stetig wachsende Preise erzielten, bis sie nun diese schwindelnde Höhe erreicht hatten, was er im übrigen völlig ungerechtfertigt fand.
    Die Nachfrage war auf einem Gipfel, hatte einen Höhepunkt erreicht, und er hatte nichts zu verkaufen. Lawrence Stern war sein Großvater, aber er besaß kein einziges Bild von ihm. Seine Schwestern auch nicht. In der Oakley Street hatten nur drei Sterns gehangen, und die hatte seine Mutter nach Gloucestershire mitgenommen, wo sie nun in den niedrigen Räumen ihres spießigen kleinen Hauses hingen, das zu allem Überfluß auch noch Podmore’s Thatch hieß.
    Was mochten sie wert sein? Fünfhunderttausend, sechshunderttausend? Vielleicht sollte er doch versuchen, seine Mutter zum Verkauf zu überreden. Wenn es ihm gelänge, müßte der Erlös natürlich geteilt werden. Nancy würde ganz bestimmt auf ihrem Anteil bestehen, aber trotzdem könnte noch ein

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