Die Muschelsucher
das Wochenende über zu einem Ehepaar namens Early - das er noch gar nicht kannte - nach Wiltshire fahren. Ihre Tochter Camilla war eine Schulfreundin von Amabel, und Amabel war Noels gegenwärtige Freundin.
»Sie haben Sonnabend einen Ball nach der Jagd«, hatte Amabel ihm erzählt. »Vielleicht wird es amüsant.«
»Haben sie Zentralheizung?« hatte er mißtrauisch gefragt. Er hatte nicht die Absicht, um diese Jahreszeit auch nur eine Stunde vor einem unzureichenden Kaminfeuer zu frieren.
»Aber ja. Sie scheinen Geld wie Heu zu haben. Camilla ist immer mit einem Bentley von der Schule abgeholt worden.« Das klang vielversprechend. Die Art Haus, wo man nützliche Leute kennenlernen konnte. Während er mit dem Lift nach unten fuhr, ließ er die Probleme des Tages hinter sich und dachte an das Wochenende. Wenn Amabel pünktlich war, müßten sie London verlassen haben, ehe der Freitagsexodus richtig eingesetzt hatte. Er hoffte, daß sie mit ihrem Wagen kommen würde, damit sie nicht mit seinem fahren mußten. Sein Jaguar machte sehr sonderbare, klopfende Geräusche, und wenn sie mit ihrem Wagen fuhren, würde sie nicht von ihm erwarten, daß er das Benzin zahlte. Es regnete in Strömen, und in Knightsbridge war Stop-and-go-Verkehr. Gewöhnlich fuhr Noel mit dem Bus nach Chelsea, und im Sommer kam es sogar vor, daß er die Sloane Street hinunterspazierte, aber heute pfiff er wegen der verdammten Kälte auf das Geld und winkte ein Taxi an den Bordstein. Auf halber Höhe der King’s Road ließ er halten, stieg aus, bezahlte, bog in seine Straße ein und ging das kurze Stück zu den Vernon Mansions zu Fuß. Sein Wagen parkte vor dem Haus - ein Jaguar E, fabelhaft macho, aber zehn Jahre alt. Er hatte ihn von einem Typen gekauft, der Pleite gemacht hatte, aber erst nachdem er damit nach Hause gefahren war, hatte er die großen Rostpartien unter dem Aufbau bemerkt, und bei einigen Spritztouren hatte er festgestellt, daß die Bremsen nicht durchgehend zu fassen schienen und daß der Motor mehr Benzin schluckte als ein Säufer Bier. Und nun hatte dieses Klopfen angefangen. Er blieb stehen, um einen Blick auf die Reifen zu werfen und einem davon einen Tritt zu versetzen. Ziemlich weich. Wenn das Pech wollte, daß er ihn heute abend benutzen mußte, würde er die Luft checken lassen müssen.
Er wandte sich ab, überquerte den Bürgersteig und betrat den Wohnkomplex durch den Haupteingang. Im Foyer roch es abgestanden und muffig. Es gab einen kleinen Fahrstuhl, doch weil er im ersten Stock wohnte, nahm er die Treppe. Sie hatte einen Läufer, ebenso der schmale Korridor, der zu seiner Wohnung führte. Er schloß auf, ging hinein, machte die Tür hinter sich zu und war daheim. Daheim.
Es war ein Witz. Wirklich.
Die Apartments waren als Stadtwohnungen für Geschäftsleute konzipiert, denen es irgendwann zu strapaziös geworden war, täglich zwischen einem Nest in Surrey oder Sussex oder Buckinghamshire und der Hauptstadt hin und her zu pendeln. Jedes von ihnen hatte eine winzige Eingangsdiele mit einem Einbauschrank, der die Nadelstreifenanzüge und Regenmäntel für die City fassen sollte. Dann gab es noch ein winziges Bad und eine Küche von der Größe einer Bootskombüse und ein Wohnzimmer. Dort führte eine faltbare Lamellentür zu einem zwingerähnlichen Gelaß, das zur Gänze von einem Doppelbett eingenommen wurde. Man konnte es wegen der drangvollen Enge nicht richtig machen, und im Sommer kam so wenig frisch Luft in das Kabuff, daß Noel es bei warmem Wetter gewöhnlich vorzog, auf dem Sofa zu schlafen. Die Wohnung war möbliert vermietet worden und die Einrichtung in der lächerlich überhöhten Miete enthalten. Alles war beige oder braun und unsagbar häßlich. Das Wohnzimmerfenster ging auf die nackte Backsteinmauer eines kürzlich gebauten Supermarkts, eine schmale Straße und eine Garagenzeile. Nie fiel ein Sonnenstrahl herein, und die ehemals cremefarbenen Wände hatten die Farbe alter Margarine angenommen.
Aber es war eine gute Adresse. Das war für Noel wichtiger als alles andere. Es hob sein Image, wie das protzige Auto, die Hemden von Harvey and Hudson und die Gucci-Schuhe. All diese Dinge waren ungeheuer wichtig für ihn, weil er wegen der familiären Umstände und der beschränkten finanziellen Verhältnisse seiner Eltern seinerzeit kein Internat besucht hatte, sondern auf eine staatliche Schule gegangen war, so daß ihm all die mühelosen Freundschaften und guten Beziehungen, die mit Eton oder Harrow
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