Die Muse des Mörders (German Edition)
Besuch des jungen Mannes und seinem Geschenk erzählen? Vielleicht würde es helfen, die Meinung einer Person zu hören, die nicht von den Geschehnissen betroffen und schockiert war. Außerdem war Judith durch die Position ihres Mannes als Polizeipräsident mit dem Fall des Dolchstoßmörders vertraut. Madeleine nahm einen Schluck von dem angeblichen Heilwasser, das zwar nicht schlecht schmeckte, aber auch nicht gesünder als anderes Wasser.
»Mir ist tatsächlich etwas ziemlich Unheimliches passiert.«
45.
Dominik hatte erst zwei Mal ein Bordell von innen gesehen. Das erste Mal war vor ungefähr siebzehn Jahren gewesen. Nach seinem Schulabschluss und ein paar Bier zu viel hatte er mit Freunden einen Ausflug ins Rotlichtviertel gemacht. Sie hatten gefeiert und Spaß gehabt, waren aber alle zu feige gewesen, mit einer Prostituierten aufs Zimmer zu gehen. Das zweite Mal, zu Beginn seiner Polizeilaufbahn, hatte ihn sein Job ins Bordell verschlagen. Eines der Mädchen hatte ihren Zuhälter wegen Vergewaltigung angezeigt, dieser war allerdings untergetaucht, sodass Dominik unverrichteter Dinge wieder abziehen musste.
Der Fetischclub hier war jedoch weder mit dem kleinen schäbigen Puff aus seiner Jugend noch mit dem protzigen Nachtclub des verschollenen Vergewaltigers zu vergleichen. Während Dominik darauf wartete, dass die Spurensicherung den Tatort freigab, hatte er genug Zeit, sich in Ruhe umzusehen. Das Sofa, auf dem er saß, hatte Fesseln an den Armlehnen und Schlaufen für die Füße. Alles in diesem Club war auf reine Bedürfnisbefriedigung ausgelegt. Die meisten Geräte, die die Wände des Flures zierten, passten besser in eine Küche oder eine Werkstatt als in einen Nachtclub. Dominik wollte sich gar nicht so genau ausmalen, was hier Abend für Abend hinter verschlossenen Türen stattfand.
Er versuchte, sich nicht weiter vom skurrilen Interieur ablenken zu lassen, und kehrte in Gedanken zurück zum Fall. Der Besuch bei der alten Schriftstellerin ging ihm nicht aus dem Kopf. Er war sich noch nicht sicher, ob es gut war, dass der Killer eine Verbündete in ihr sah, oder ob es sie in Gefahr bringen konnte. Vielleicht würde er zu ihr zurückkehren und die Polizei würde ihn schnappen können, wenn sie diesmal rechtzeitig anrief. Möglicherweise erfuhr er aber auch von ihrer Kooperation mit den Behörden, fühlte sich verraten und sann auf Rache. So oder so, er musste den Mörder finden, bevor dieser noch mehr Unheil anrichten konnte.
Dominik zog das in Plastik verpackte Kästchen, das er von Madeleine Scuderi bekommen hatte, aus der Jackentasche. Gestern Abend hatte er bei der Spurensicherung niemanden mehr erreicht und so war er heute unterwegs gewesen, um das Beweisstück abzuliefern, als er zum Tatort gerufen wurde. Deshalb trug er es immer noch bei sich. Vorsichtig hielt er es gegen das spärliche Licht, das aus elektrischen Fackeln an den Wänden drang, und betrachtete es genauer. Das Kästchen war aus edlem Holz geschnitzt und mit Edelsteinen in feinen Goldfassungen verziert. Es wurde durch zierliche Scharniere zusammengehalten und mit einem goldenen Schloss verriegelt. Dominik konnte das Kästchen nicht aus der sicheren Plastiktüte nehmen, ohne wichtige Spuren zu verwischen. Deshalb drehte er es lediglich herum und begutachtete die Unterseite. Eine schmale Gravur zeigte sechs Buchstaben eines Nachnamens. Nach kurzem Grübeln wusste Dominik, wo er diesen Namen schon einmal gehört hatte.
46.
»Warum hat mein Mann mir denn nichts davon erzählt?« Judiths Stimme klang so empört, als sei sie selbst Polizistin und müsse über jedes Detail auf dem Laufenden gehalten werden. Sie schüttelte den Kopf und leerte ihr Glas in einem Zug.
Mittlerweile war der Wintergarten von Essensgerüchen erfüllt, doch die Stimmung war so ungemütlich, als hätte Madeleine gerade die österreichische Verbrechensstatistik vorgelesen.
»Wenn ich mir vorstelle, dieser Kerl wäre hier aufgetaucht … unvorstellbar!«
Madeleine wusste, dass vor einigen Jahren bei den Reinhardts eingebrochen worden war. Tatsächlich war Judith in jener Februarnacht panisch im Nachthemd hinaus auf die Straße gerannt. Ihr Mann dagegen hatte die Diebe mit einem alten Jagdgewehr in die Flucht geschlagen, was ihm damals allseits Respekt eingebracht hatte.
»Ich habe ja nichts davon mitbekommen«, sagte Madeleine, »und Lucy verwindet die Sache ganz gut. Ich glaube, am Ende hätte sie den Schmuck am liebsten
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