Die Muse des Mörders (German Edition)
geöffnet und Madeleine fiel ein Stein vom Herzen. Vor ihr stand tatsächlich die Frau von dem Foto. Sofie Hafner hatte sich nicht so gut gehalten wie der Vater ihres Kindes. Auf dem Bild hatten sie gleich alt gewirkt, ein junges Paar in den Zwanzigern, doch während René Kardos zweiundvierzigjährig als attraktiver Mann gestorben war, wirkte Sofie verlebt. Tiefe Falten zerfurchten ihre Stirn und die Mundpartie, die blonden Haare waren stumpf und gräulich. Sie war klein und wirkte noch schmächtiger als auf dem Foto. Unverwandt sah sie Madeleine an. Eines ihrer Augenlider hing und ließ ihr Gesicht asymmetrisch wirken.
»Bevor Sie fragen, ich habe kein Interesse, über Gott, die Bibel oder die Zukunft der Menschheit zu sprechen.« Ihre Stimme klang hart.
Madeleine blieb vor der Tür stehen und atmete erschöpft durch, bevor sie antwortete.
»Ich bin auch nicht hier, um mit Ihnen über Gott zu sprechen, Frau Hafner. Sie sind doch Sofie Hafner, oder?«
»Wer will das wissen?« Misstrauen lag in ihrer Stimme.
»Madeleine Scuderi.« Sie streckte der Frau die Hand entgegen, doch diese verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Es wirkte, als wolle sie sich selbst beruhigend umarmen.
»Was wollen Sie?«
Madeleine griff in ihre Tasche und zog das Foto hervor. Sie warf einen kurzen Blick darauf, dann hielt sie es Sofie Hafner hin.
»Sind Sie das? Die Frau auf dem Bild?«
Die Augen der Frau wurden noch größer und sie zuckte förmlich vor dem Foto zurück.
»Woher haben Sie das?«
»Von Ihrer Tochter«. Madeleine gestattete sich die Notlüge, um die Situation nicht umständlicher als nötig zu machen.
Die Frau starrte das Bild noch einen Moment lang an.
»Schickt er Sie?«, stieß sie schließlich hervor.
Madeleine schüttelte langsam den Kopf.
»Er ist tot, Frau Hafner.«
Maries Mutter schloss die Augen.
Madeleine fragte sich, ob sie die Nachrichten nicht verfolgt hatte. Die Presse hatte den Tod des berühmten Goldschmieds lebhaft diskutiert, so wie die tragischen Fälle aller anderen Opfer auch.
»Darf ich reinkommen?«, fragte sie. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
Sofie Hafner zögerte, dann zuckte sie die Achseln und ließ Madeleine eintreten. Sie führte sie in das spärlich möblierte Wohnzimmer und wies mit einer fahrigen Geste auf einen Stuhl.
»Setzen Sie sich, Frau … wie heißen Sie noch gleich?«
»Scuderi.« Madeleine nahm Platz und stellte ihre Tasche neben sich ab.
Maries Mutter ließ sich auf das Sofa fallen, beugte sich gleich darauf vor und langte nach einer Schachtel Zigaretten, die auf dem Tisch lag.
»Stört Sie doch nicht?«
»Nur zu.«
Sofie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug, stieß eine Wolke dichten Qualms aus und starrte ihr verloren hinterher.
»Tot, sagen Sie?«
»Ja. Er wurde erstochen.«
Die Frau machte ein seltsames Geräusch, irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Amüsement.
»Dieser Hund.«
Madeleine wusste nicht, was sie sagen sollte. Es herrschte einen Moment lang Stille. Sie fragte sich, was sie sich von dem Treffen erhofft hatte. Da brach Sofie Hafner das Schweigen.
»Kann ich das Foto noch einmal sehen?«
»Natürlich.« Wieder holte Madeleine das Bild aus ihrer Tasche und hielt es Sofie hin. Diesmal betrachtete die Frau es in Ruhe und ein versonnenes, wenn auch bitteres Lächeln stahl sich auf ihre herb gewordenen Züge.
»War ein schöner Tag damals. Kurz vor Maries zweitem Geburtstag.«
»Sie sehen unglücklich aus auf dem Foto.«
Das Lächeln auf Sofies Zügen gefror. Madeleine senkte die Stimme und legte einen vertraulichen Tonfall hinein.
»Was hat Sie bedrückt, Sofie?«
Die Frau schien sich ertappt zu fühlen, schüttelte den Kopf, lächelte erneut und strich mit dem Daumen über das Abbild ihrer kleinen Familie.
»Kannten Sie ihn gut?«
»Ich kenne Ihre Tochter gut.«
Sofie sah auf und ihr Blick war nun wütend.
»Sind Sie hier, um mir Vorwürfe zu machen? Ist es das? Sind Sie eine Lehrerin von Marie oder so etwas? Wenn es das ist, dann verschwinden Sie!«
Madeleine schüttelte den Kopf.
»Ich bin hier, weil ich gern ein paar Dinge über Maries und Ihre Vergangenheit erfahren würde. Sie verwindet den Tod ihres Vater sehr schwer.«
Die Frau lachte verächtlich.
»Das denke ich mir.« Wieder zog sie an ihrer Zigarette, dann tippte sie auf das Foto. »Sie halten mich wahrscheinlich für einen schlechten Menschen, weil ich damals abgehauen
Weitere Kostenlose Bücher