Die Muse des Mörders (German Edition)
alles gut wird, wenn wir erst eine Familie sind.«
»Das wurde es aber nicht.« Jetzt blickte auch Madeleine auf die verbundene Hand des jungen René.
»Nach Maries Geburt geschah etwas Seltsames. Er entfernte sich immer weiter von mir, aber Marie vergötterte er und sie vergötterte ihn auch.« Maries Mutter sah auf. »Es war unheimlich. Wann immer ich sie auf dem Arm hatte, schrie sie, aber sobald ich sie ihm gab, war sie still. Auf seine Art war er genauso. Er hat seine dunkle Seite nie an Marie ausgelassen. An mir schon. Sehen Sie mich doch an. Ich bin kaputt.« Sie wandte den Blick ab und ihre Unterlippe bebte.
»Haben Sie je eine Erklärung für sein Verhalten bekommen? Oder selbst gefunden?«
Sofie Hafner sah auf und starrte Madeleine voll unverhohlener Wut an.
»Oh ja, das habe ich. Er war ein Monster, Frau Scuderi, das gar nichts lieben konnte, außer dem, was es selbst geschaffen hatte.«
Madeleine spürte, wie eine Gänsehaut ihre Arme überzog. Die Aussagen der Frau deckten sich mit denen Olivers, und in beider Augen stand das gleiche Grauen, wenn sie von dem Monster René Kardos sprachen.
»Sie sind gegangen, weil sie Angst vor ihm hatten?«
»Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich hatte nichts mehr zu geben. Ich konnte ihn nicht mehr auffangen. Eines Nachts hatte er sich wieder einmal in Arbeit vergraben und da packte ich schnell ein paar Sachen und haute ab.«
»Ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, aber warum haben Sie Marie bei ihm gelassen?«
»Ich sagte doch schon, er hat sie vergöttert. Sie hätte es bei mir nicht besser haben können. Sie war immer sein Geschöpf. Nie meines.«
Geschöpf. Madeleine musste schlucken.
»Warum haben Sie sich nicht einfach getrennt?«
»Ich konnte ihn nicht einschätzen.«
»Sie hatten nie wieder Kontakt zu ihm?«
»Vor etwa einem Jahr kam ich zurück nach Wien. Natürlich hat Marie mir gefehlt, die ganzen Jahre über. Ich dachte darüber nach, Kontakt zu ihr aufzunehmen. An dem Tag, als ich hier den Mietvertrag unterschrieb, fuhr ich zur Mariahilfer Straße und wollte zu ihnen gehen. Als ich dann den Hof betrat, sah ich die beiden zufällig, wie sie vom Einkaufen kamen.« Sofie Hafner verzog das Gesicht. »Sie kamen mir entgegen, aber sie bemerkten mich nicht. Ich versteckte mich und beobachtete sie. Sofort waren all die Emotionen wieder da. Diese Vertrautheit zwischen den beiden, wissen Sie? Sie war wunderschön, aber sie bewegte sich so aufrecht und lässig wie er und als sie lächelte, war es sein Lächeln.« Sofie drückte ihre Zigarette in einem überquellenden Aschenbecher aus. »Ich konnte nicht mit ihnen sprechen. Mit keinem von beiden. Sie wirkten auch nicht, als ob sie mich besonders vermissen würden.« Sie lehnte sich zurück und Verbitterung machte ihre ehemals hübschen Züge regelrecht hässlich. »Erstochen, sagen Sie.«
Madeleine nickte stumm.
»Hat er gelitten?«
»Würde Ihnen das Genugtuung verschaffen?«
Sie ignorierte die Frage.
»Marie geht es nicht besonders?«
»Nein. Nicht besonders.« Madeleine hütete sich, ein Treffen vorzuschlagen, und Maries Mutter hatte anscheinend kein Interesse an einer neuerlichen Begegnung.
»Haben sie den Mörder gefunden?«, fragte sie.
»Nein.« Das entsprach zwar nicht den offiziellen Tatsachen, aber Madeleines Überzeugung.
»Nun, wer immer es war …« Sofie Hafner griff wieder nach der Zigarettenschachtel. »Ich bin mir sicher, er hatte einen guten Grund.«
83.
Mit jedem Meter, den Madeleine sich von Maries Mutter entfernte, fühlte sie sich besser. Auf ihre Art war Sofie Hafner ebenso krank wie der Mann, der sie zu diesem Wrack gemacht hatte.
Sie ließ sich das Gespräch durch den Kopf gehen, während draußen die sonnigen Straßen an ihr vorbeizogen. Spaziergänger genossen die ungewöhnlich warmen Tage und wähnten sich in Sicherheit. Eine unbestimmte Wut überkam Madeleine. Niemand hinterfragte, ob Oliver der Schuldige war. Ob er es überhaupt sein konnte. Auf Kardos hingegen hatte es einen regelrecht anbiedernden Nachruf in der Zeitung gegeben. »Einer der größten Künstler unserer Zeit ist von uns gegangen.« Davon, dass er nicht nur Dinge geschaffen, sondern im Austausch Menschen zerstört hatte, wollte niemand etwas wissen. Sie musste an Sofie Hafners verbitterte Züge denken. So tragisch das Schicksal der Frau war, so sehr hatte es sie davon überzeugt, dass Oliver die Wahrheit gesagt hatte. Der Goldschmied war ein kranker Mann gewesen,
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