Die mutigsten Mäuse der Welt: Das Wiedersehen (German Edition)
Persönlichkeiten näher zu betrachten « , sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu begrüßen. Mit einem Nicken deutete er auf die Ordner, die auf ihren Pulten bereitlagen. Alice schlug die oberste Akte auf, senkte den Kopf und fing an, die Geschichte von Raz und Rita aus Tornley zu lesen.
Raz und Rita waren die Kinder von Jez und Webbley. Ihren Vater sahen sie allerdings nicht oft, denn Jez war einer der Königlichen Wachen. Er war an die Grenze zwischen Gerander und Souris in die Koller-Alpen geschickt worden und kam nur unregelmäßig heim, wenn er Urlaub hatte.
» Ha, sieh dir seine riesigen Ohren an! « Alex hielt ein Foto hoch und prustete los.
» Das ist dein toter Vater, über den du da redest, junger Mann « , wies ihn Solomon Honker zurecht. » Zeige gefälligst etwas Respekt. «
Als die Kinder sechs waren, war Jez von einer Bande gerandinischer Rebellen getötet worden, die versucht hatten, über die Grenze zu kommen.
» Oh! « , rief Alice unwillkürlich aus. » Ihr Vater ist von Gerandinern getötet worden! «
» Glaubt nicht alles, was ihr lest « , riet ihr Solomon Honker. » Er war in Wirklichkeit Teil einer Patrouille, die sich in den Bergen verirrte und in eine Schlucht stürzte. Es hört sich für die Leute daheim nur besser an, wenn er als Held starb, der gegen die Gerandiner kämpfte. «
Ein wenig erleichtert las Alice weiter.
Mutter Webbley, die nun Witwe war, wusch und bügelte für andere. Sechs Jahre nach dem Tod ihres Mannes wurde sie krank und starb. Die Waisen Raz und Rita wurden von Nachbarn zu Verwandten weitergereicht, aber niemand wollte sich ständig um sie kümmern. Schließlich hatte jemand den Einfall, sie der Verantwortung der sourisanischen Armee zu unterstellen. Ihr Vater hatte sein Leben immerhin im Dienst fürs Vaterland verloren – nun sollte sich die Armee überlegen, was mit den Kindern passieren sollte. Und so wurden für sie Stellen im Palast von Cornoliana gefunden.
Alice schüttelte den Kopf. » Arme Rita, armer Raz « , sagte sie. »Was für ein schlimmes Leben! «
» Ehe du vor Rührseligkeit zerfließt « , sagte Solomon Honker, » solltest du noch etwas wissen. «
»Was denn, Sir? « , fragte Alice.
Ihr Lehrer beugte seinen weißen Kopf ganz nahe an sie heran. » Sie hassten Gerandiner « , zischte er.
Erschrocken wich Alice im Stuhl zurück, doch Solomon Honker kam hinterher. » Und rate mal, was das bedeutet? «
» Ich ... ich weiß nicht, Sir « , sagte Alice.
» Das bedeutet, Rita von Tornley, dass du Gerandiner auch hasst. «
Nicht zum ersten Mal schwante es Alice, wie schwierig ihre verdeckte Ermittlung werden würde. Sich in Rita zu verwandeln bedeutete, völlig anders zu sein, als sie selbst war – und das auch noch so überzeugend, dass sie jeden, dem sie begegnete, hinters Licht führte. Und Alice war nie eine gute Schauspielerin gewesen ... Sie hatte sich bisher keine Gedanken darüber gemacht, aber jetzt fragte sie sich, warum Tobias gerade sie und Alex für diese gefährliche Aufgabe ausgewählt hatte. Wirklich nur aus dem Grund, weil sie das gleiche Alter hatten wie Raz und Rita? Es kam ihr mehr als merkwürdig vor, dass die FUG wahllos zwei junge Mäuse aussuchte und sie zu einem Einsatz schickte, von dem so viel abhing. Ihre Überlegungen wurden von der Stimme ihres Bruders unterbrochen.
»Was ist denn mit den richtigen beiden passiert? « , fragte er.
» In einem Hausbrand ums Leben gekommen « , sagte Solomon Honker knapp.
Nachdem sie alles Wissenswerte, das bekannt war über das kurze Leben von Raz und Rita, erfahren hatten, befahl ihnen ihr Lehrer, die Akte zu öffnen, auf der Tornley – Allgemeines stand.
» Meinst du, dass wir jemals fertig werden, über unsere verdeckte Ermittlung zu lesen, und endlich damit anfangen? « , murmelte Alex leise, während sie sich durch einen Stapel von Stoff über das Leben in Tornley fraßen. Alice blätterte die Seiten durch und entdeckte einen Stadtplan von Tornley, einen Abschnitt über Flüsse und Bäche (einschließlich der Information, in welchen man am besten schwimmen konnte), eine Beschreibung der Schule, auf der Raz und Rita gewesen waren, Bilder von ihren Nachbarn, Listen mit –
» Heute Nachmittag « , sagte Solomon Honker von seinem Lehrerpult aus.
Erschrocken sahen die beiden Mäuse auf.
»Wie bitte, Sir? «
» Ihr reist heute Nachmittag ab, direkt nach dem Mittagessen. Ich an eurer Stelle würde also so viel Information wie möglich aufnehmen. «
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