Die mutigsten Mäuse der Welt: Das Wiedersehen (German Edition)
der Größe seiner Ohren eine Falle? Verzweifelt versuchte sie sich daran zu erinnern, wie Jez von Tornley ausgesehen hatte, was ihr jedoch nicht gelang. Plötzlich hatte sie einen trockenen Mund. In der Akte war ein Foto gewesen, fiel ihr ein. Warum hatte sie nicht mehr darauf geachtet?
» Große Ohren « , sagte Alex gelassen. » Unser Vater hatte große Ohren. «
» Ach, tatsächlich? « , sagte Lester. » Dann muss ich an einen anderen gedacht haben. «
Alex aß ruhig weiter, während Lester wieder hinausschlüpfte. Das Klirren ihres Löffels an der Schale machte Alice darauf aufmerksam, dass sie zitterte. Zum Glück schien es die Köchin nicht zu bemerken. Sie stand mit bebenden Schultern über den Herd gebeugt.
» Ein Chefkoch aus Souris? « , sagte sie vor sich hin. » Die können doch nicht vorhaben – mir zu kündigen. Die Palastküche ist immer von einer Köchin geleitet worden, sogar nach der Eroberung durch die Sourisaner. Meine Mutter hat noch für König Martain gekocht. Es hat ihr fast das Herz gebrochen, als der alte König vertrieben wurde. Und ich habe immer gehofft, dass eine Köchin eines Tages die Küche für Sansibar leiten würde. « Plötzlich schlug sie die Hand über den Mund, als sei ihr bewusst geworden, was sie gesagt hatte. Als sie sich umdrehte, um festzustellen, ob sie belauscht worden war, blickte Alice rasch in ihre Suppenschale.
Alex, der noch schlürfte, verriet mit keinem Zeichen, dass er die verräterischen Worte der Köchin gehört hatte.
» Köchin, wo führt die Tür hin? « , fragte er, als er merkte, dass die Köchin in seine Richtung sah. Er deutete nicht auf die Tür, durch die Lester gekommen war, sondern auf eine, die sich auf der anderen Seite der Feuerstelle befand.
Die Köchin sah sich um, wohin er zeigte. Sie rümpfte abfällig die Nase. » Gesindetreppe. Früher, als König Martain im Palast gelebt hat, haben sich die Dienstboten durch eigene Gänge bewegt, um die königliche Familie und ihre Gäste nicht zu stören. Ist jetzt verboten. Die Sourisaner wollen uns sehen können. «
» Ist das nicht besser? « , fragte Alice. »Würdet ihr nicht lieber die Treppen und Gänge benutzen wie alle anderen auch? «
Die Köchin hob eine ihrer ausladenden Schultern. » Schon möglich « , sagte sie. » Aber inzwischen ist es mir egal, ob ich die Gäste störe; die ›Gäste‹ stören eher mich. « Sie sah sie vielsagend an, dann fuhr sie fort: » So, ich zeige euch, wo ihr schlaft, dann gehe ich heim zu meiner Familie. Die Kleinen warten sicher schon auf ihr Abendessen. «
Sie führte sie aus der Hintertür auf den gepflasterten Hof und deutete auf eine Holztreppe an der Außenwand des Palastes. » Dort oben findet ihr ein Zimmer. «
Alice, die sich darauf freute, in ein weiches Bett zu fallen, ging voraus. Eine Treppe, zwei Treppen, drei Treppen. Die Treppe wurde immer schmaler und die Stufen immer wackeliger. Als Alice schließlich nach sechs Treppen eine Tür entdeckte, war ihre Hoffnung auf ein weiches Bett geschwunden.
Als sie kurz darauf die knarrende Tür aufstieß, wurde sie endgültig ernüchtert.
» Gut, dass der Dachboden wenigstens warm ist « , bemerkte sie, als sie in der ärmlichen Kammer unter derDachschräge standen und auf zwei Strohsäcke blickten. » Ich würde mich nicht gern nur darauf verlassen. « Sie hielt eine Decke hoch, die so fadenscheinig war, dass man teilweise hindurchsehen konnte.
»Warm ist untertrieben « , sagte Alex. » Es ist stickig hier drin. Ob man das Fenster wohl aufmachen kann? « Es war unmöglich, durch die schmutzige Scheibe zu sehen. Aber nach einigem Rütteln gelang es Alex, es zu öffnen, und beide atmeten erleichtert die frische Luft ein.
Sehen konnte man in erster Linie die Dächer vom Palast, aber hinter dem Fluss konnten sie auch die Lichter der Stadt erkennen. Irgendwo dort drüben, dachte Alice, waren Mäuse wie sie selbst. Und mit diesem tröstlichen Gedanken legte sie sich auf eines der Lager und fiel in einen unruhigen Schlaf. Jedes Mal, wenn sie sich umdrehte, pikte sie das Stroh in die Seite.
Irgendwann in der Nacht erwachte sie von einem knurrenden Geräusch. Nach ein paar ängstlichen Minuten stellte sie fest, dass das Geräusch aus ihrem Magen kam. Sie drehte sich um und wollte nachsehen, ob ihr Bruder wach war – doch seine Decke war zurückgeschlagen und sein Lager leer.
» Alex? « , flüsterte sie in den dunklen Raum. » Alex, bist du da? «
Keine Antwort.
Sie stand auf und trat an das
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