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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Aktivitäten, daß Novokuznetsk
›echt‹ sei – Klieg hat dieses Wort schon oft
gehört – und pumpt Geld hinein.
    Auch darüber muß Klieg den Kopf schütteln. Dieses
Problem würde er nie haben. Er weiß um die
Bedeutung von Geld, Daten und Regeln – vom physikalischen Aspekt
der Dinge hat er jedoch keine Ahnung. Aber wenn man sich in dieser
Hinsicht schon für einen Profi hält, sollte man auch in der
Lage sein, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden.
    Wie Klieg weiß, werden die Alibi-Anlagen eine halbe Stunde
vor Ankunft der Besucher hoch- und zehn Minuten nach deren Abgang
wieder heruntergefahren. Das ganze schlammige, schmutzige, verseuchte
und triste Chaos soll nur Kapital anlocken. Hier werden nie
Güter produziert und nur sehr wenige Dienstleistungen erbracht
werden.
    Teufel, er denkt wie einer dieser sozialistischen Kanäle aus
der Dritten Welt – nicht, daß er ein Fan davon wäre,
aber sein Stab mischt sie immer unter die Nachrichten, die er
täglich sichtet. Aber noch einmal die Frage, was erwarten die
Leute eigentlich? Im Geschäftsleben geht es um die Erzielung von
Gewinn – wenn man mit der Errichtung von Gebäuden und dem
Bedienen von Menschen Geld verdienen kann, wird es getan, und wenn
nicht, nun, dann hat offensichtlich keine Nachfrage nach
Gebäuden oder Dienstleistungen bestanden, denn sonst hätten
die Leute auch dafür bezahlt.
    Im Grunde macht er sich nur deshalb Gedanken über die
häßliche und eklige Stadt, weil er – davon abgesehen,
daß er zwei Augen und eine Nase hat – Glinda und Derry
wirklich vermißt. Vor wenigen Wochen noch hatte er Glinda und
die Tatsache, daß sie ein Kind hatte, bestenfalls am Rande
registriert – jetzt haßt er es, von ihr getrennt zu
sein.
    Die ganze Sache muß einen philosophischen Konnex haben,
sinniert er, aber ist nicht imstande, ihn zu erkennen. Die Welt
verändert sich, noch während man versucht, sie zu
verstehen. Er hatte schon lange gewußt, daß sie
gutaussehend und alleinstehend war; nur war ihm bisher nicht
aufgefallen, daß er einsam war oder daß sie sich für
ihn interessierte. Das ist alles.
    Jetzt fällt ein warmer Regen über Novokuznetsk und
fließt als schwarze, ölige Brühe von den unverputzten
neuen Gebäuden ab und bildet auf den
schlaglochübersäten Straßen braune und graue
Pfützen, die in den Farben des Regenbogens schillern. Die
Elektromotoren des Taxis, das er genommen hat, heulen vernehmlich,
und das Fahrzeug kommt anscheinend immer wieder vom Kurs ab und
fährt ein paar Straßen weiter, bis es eine intakte
Leitstelle findet, und dem Geruch nach zu urteilen, hat das Taxi
jüngst als Boudoir für etliche Prostituierte und ihre
europäischen Freier gedient.
    Er wünscht sich, wieder in Florida zu sein; Derry hat heute
eine Art Reitwettbewerb, und sie und Glinda werden morgen früh
anrufen, was für ihn am späten Abend bedeutet, um ihm zu
berichten, wie sie abgeschnitten hat. Er mag das Kind sehr –
natürlich wollen sie Derry nicht verwöhnen, aber dennoch
macht er ihr immer wieder gern eine Freude.
    Es ist schon Jahre her, seit er sich solcher Gesellschaft und
Zuneigung erfreut hatte, und es fällt ihm bereits schwer, ohne
das auszukommen. Glinda ist gerade erst in sein Leben getreten, und
schon sind Dinge wie Restaurantbesuche, am Strand liegen oder
Einkaufen – was er jahrelang als
›Routineverrichtungen‹ bezeichnet hatte – das, worauf
er sich am meisten freut.
    Ganz zu schweigen vom Sex. Klieg hat alles ausprobiert, aber im
Grunde möchte er nur ein wenig schäkern, in Stimmung kommen
und dann ficken – das sind auch Glindas Präferenzen, und
sie will so oft wie Klieg, wobei sie es jetzt viel öfter tun als
noch vor wenigen Monaten. Fast an jedem Wochenende und in der Woche,
wenn er bei ihr übernachtet, gönnen sie sich diese
wundervollen zusätzlichen zehn Minuten und schlafen dann
aneinandergekuschelt ein.
    Mittlerweile hat Klieg sogar schon erwogen, in Pension zu gehen,
aber dann ist er doch zu dem Schluß gekommen, daß er, so
sehr ihm seine neuen Freizeitaktivitäten auch gefallen, sie
nicht ausschließlich ausüben möchte. Die Akzente
ließen sich jedoch variieren – wenn die Gesellschaft
wieder in Routine zurückfällt und das Leben langweilig
wird, könnte er sich verstärkt anderen Dingen zuwenden.
Aber jetzt muß er sich auf das Weltraumprojekt
konzentrieren.
    Am nachteiligsten wirkt sich für ihn jedoch aus, daß er
die Bedeutung der PR-Aktivitäten dieses erbärmlichen Landes
nicht

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