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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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war, und dann kuschelt er sich bei einer Tüte Popcorn
mit Glinda vor dem Fernseher aneinander. Aber diese Überlegungen
machen seinen Aufenthalt in dieser stinkenden Müllkippe von
einer Stadt zumindest erträglicher.
    Das Taxi muß wohl auf Umwege programmiert sein, denn als es
vor Hassans Gebäude vorfährt, hat Klieg einige große
Kreuzungen bereits zweimal überfahren. Hassan hat ein ganzes
Stockwerk in einem dieser leerstehenden Wolkenkratzer zur
Verfügung, und an der Tür wird Klieg von zwei großen
Männern abgefangen, die auch als Mitglieder der sibirischen
Ringer-Olympiamannschaft durchgehen könnten. Ihre neuen
Mäntel, die jedoch billig und geschmacklos wirken, spannen sich
an den Armen und den Schultern. Auf der linken Seite befindet sich
eine Ausbeulung, dort steckt die Kanone. Zwischen Mantel- und
Hemdkragen klafft eine zwei Zoll breite Lücke, und als der etwas
Kleinere sagt: »Misser Klieg, bitte?« und eine massive,
kellenförmige Hand ausstreckt, spannt sich die Manschette.
    Der Vorgang hat etwas, wenn auch keine Klasse. Klieg findet es
spaßig (die Episode scheint einem alten Film entlehnt zu sein),
gelangt aber gleichzeitig zu dem Urteil, daß bullige,
einschüchternde Figuren in Anzügen doch etwas billig
sind.
    Erstaunlicherweise funktioniert der Aufzug in diesem Gebäude
störungsfrei, und als er Hassans in der obersten Etage gelegenen
Bürotrakt erreicht, wirkt alles sauber, behaglich, neu und
gepflegt; mehr noch als der Wolkenkratzer oder die beiden
Riesenbabies vermittelt dieses Ambiente Klieg den Eindruck, es mit
einem Profi zu tun zu haben.
    Hassan ist gut, jedoch nicht übertrieben gut gekleidet, und
das ist ein weiteres gutes Zeichen. Er ist ein kleiner,
breitschultriger Mann, dessen Körperhaltung darauf
schließen läßt, daß er vor zwanzig Jahren
harte körperliche Arbeit verrichtet und sich seitdem in Form
gehalten hat. »Mr. John Klieg«, begrüßt er ihn.
Sein Akzent klingt mehr nach Oxford als nach Pakistan; Kliegs
Recherchen haben indessen ergeben, daß er weder ein Brite noch
ein Pakistani ist, sondern ein Kind des komplexen Systems aus
Waisenhäusern, Pflegeeltern und Straßenbanden, das aus den
Trümmern des dreißigjährigen Krieges in den alten
mittelasiatischen Sowjetrepubliken Millionen staatenloser Menschen
hervorgebracht hat.
    »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagt
Klieg, und dann trinken sie einen Tee; Klieg hat schon zwei
Anti-Teein-Tabletten geschluckt sowie eine kleine Pille, die den
Harndrang für einige Stunden unterbinden wird, denn man hat ihn
darauf hingewiesen, daß es Teil der hiesigen Gebräuche
sei, Gespräche mit etlichen Litern Tee zu begießen.
    In Hassans privatem Büro nehmen sie auf großen weichen
Kissen Platz, die auf einem dicken, teuer wirkenden und
handgeknüpften Teppich penibel um einen kleinen Tisch arrangiert
wurden. Auf der Anrichte steht ein großer silberner Samowar,
und das größere der Riesenbabys gießt ihnen eine
Tasse ein und stellt sie auf den Tisch, wonach er lautlos den Raum
verläßt.
    Klieg und Hassan setzen sich gegenüber an den Tisch, und dann
trinken sie Tee und unterhalten sich über das Wetter. In einer
Situation wie dieser wäre es nämlich ein Verstoß
gegen die Etikette, gleich auf das Geschäft zu sprechen zu
kommen. Bei der zweiten Tasse sagt Hassan dann: »Wie ich
höre, haben Sie keine Familie, Mr. Klieg?«
    »Im Moment nicht«, bestätigt Klieg. »Ich
arbeite aber daran.«
    »Aha. Es gibt also eine Frau in Ihrem Leben? Etwa eine junge
Schönheit, die Ihnen das Alter versüßen
soll?«
    Klieg schüttelt lächelnd den Kopf. »Eine
ältere Schönheit, eine alleinerziehende Mutter. Jemand mit
viel gesundem Menschenverstand.«
    Hassan erhebt sich und füllt beide Tassen nach, und als er
mit ihnen zurückkommt, sagt er: »Man hat mich also richtig
informiert; Sie sind weise und klug. Und natürlich…«
– er reicht Klieg eine Tasse – »… natürlich,
Mr. Klieg, müssen Sie bei dieser privaten Entwicklung auch an
die Zukunft denken und daran interessiert sein, daß die Dinge
Bestand haben, um Ihrer neuen Familie ein sicheres Leben zu
ermöglichen. Ich verstehe das, ich bin nämlich in einer
vergleichbaren Situation – ich habe vier Töchter und einen
kleinen Sohn, und wenn ich an die Gewalt denke, die in diesem Teil
der Welt immer wieder aufflackert und an die grausame und
hoffnungslose Armut, läuft es mir kalt den Rücken hinunter,
und dann vergrabe ich mich in meiner Arbeit, um zu

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