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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Mitarbeiter der NOAA mit schlechten
Nachrichten an die Öffentlichkeit traten, und schon gar nicht
mit schlechten Nachrichten, die wir unter Verschluß halten
mußten, um einen weiteren Globalen Aufstand zu
verhindern. Also haben wir die Prognose-Abteilung geschlossen, denn
die produzierte die meisten Horrorgeschichten.«
    Hardshaw lehnt sich zurück und sagt: »Und jetzt
erklären Sie mir den Sinn dieser Maßnahme.«
    »Der Sinn bestand darin, Chefin, daß wir noch nie mit
einem globalen Unwetter konfrontiert worden sind und über
keinerlei Anhaltspunkte verfügten, wie ein größerer
oder stärkerer Sturm sich auswirken würde. Und die
Langfrist-Prognosen enthalten schon seit langem Hiobsbotschaften
bezüglich Dürrekatastrophen und ähnlichen Desastern.
Das mußten wir gegen zehn Millionen Tote
abwägen.«
    Sie nickt. »Gut, hiermit erkläre ich, daß die
Entscheidung ein großer Fehler war. Notieren Sie das, damit wir
es als Antwort parat haben, falls uns jemand danach fragt.«
    »Und wo bleibt Ihre Ehrlichkeit als Basis-Medium?«
    ›Medium‹ ist Medien-Jargon für den Transport von
Glaubwürdigkeit. Der Anschein von Ehrlichkeit ist eine Art von
Medium; Populismus und Faktenwissen sind weitere. Das hat indes nicht
das geringste mit der Wahrheit zu tun, falls die Wahrheit an sich
überhaupt bekannt sein sollte, und aus diesem Grund haßt
Brittany Lynn Hardshaw, die sich noch daran erinnert, wie ihr
für jede Lüge eine Maulschelle verpaßt wurde, diesen
Begriff. Davon hat sie Diem aber noch nie etwas erzählt, und sie
wird es auch nicht tun. Es fällt in sein Ressort, sich mit
›Medien‹ zu befassen.
    Als sie aufschaut, sieht sie das erste Glühen der
Morgendämmerung im Fenster und bemerkt, daß die
Nachtschicht von der Frühschicht abgelöst wird. Sie nickt
jedem zu, winkt, zeigt sich als spendable Gastgeberin und verteilt
die restlichen belegten Brote (wobei sie Diems gequälten
Gesichtsausdruck goutiert, als die Delikatessen an die unteren
Chargen weitergereicht werden).
    Dann nimmt sie wieder Platz und flüstert: »Harris, in
meinen Augen hat der große Fehler darin bestanden, daß
wir die Leute ungeschoren haben davonkommen lassen, die am Globalen
Aufstand beteiligt waren. Es gibt nämlich auch so etwas wie
persönliche Verantwortung! Wir hätten auf mannigfaltige Art
einschreiten können – mit dem Einsatz von Truppen in den
Großstädten, die Gouverneure hätten die Nationalgarde
ausrücken lassen, die XV-Verantwortlichen festnehmen und so
lange in Gewahrsam halten können, bis sie eingewilligt
hätten, die verdammten Übertragungen
einzustellen…«
    »Das hätte eine ganze Prozeßlawine ins Rollen
gebracht…«, erwidert er.
    Sie macht eine Handbewegung, als ob sie einem Huhn den Hals
umdrehen wollte. Diese Geste kennt Diem noch aus ihrer Zeit als
Anwältin. »Seit wann hat eine alte Staatsanwältin, die
bereits neunzehn Fälle vor dem Obersten Bundesgericht verhandelt
hat, denn vor so etwas Angst? Wäre der erste eindeutige Fall
seit der Erfindung von XV gewesen, in dem die Sender wegen
Gefährdung der öffentlichen Ordnung ihre Tätigkeit
hätten einstellen müssen – ganz ohne Kampf, oder? Aber
das ist alles Schnee von gestern.« Sie nimmt einen Schluck
Kaffee; er hat sich jetzt abgekühlt, und sie genießt ihn
wie eine Droge, nicht zum Entspannen wie vorhin. »Der Punkt ist
doch der: wir müssen begreifen, daß ich in dieser Krise
nicht überall zugleich sein kann, zumal ich ja nicht einmal
Verbindung zu jedem Ort habe. Im Moment wissen wir nicht einmal, ob
Hawaii mit dem Hubschrauber zu erreichen ist oder ob die Marine in
Pearl Harbor einlaufen kann.
    Harris, was mir schlaflose Nächte bereitet, ist die Frage, ob
die NSA recht hat, und wenn die kleine ›geheime‹ Kabale um
Callare und die Tynans korrekte Informationen liefert, dann steht uns
vielleicht eine Katastrophe bevor, die jede Regierung hinwegfegt.
Einige Administrationen werden sich vielleicht behaupten, die Frage
ist nur, in welchen Ländern. Millionen Menschen werden alle
neuzeitlichen Errungenschaften verlieren und auf sich selbst gestellt
sein. Und ich glaube nicht, daß die Leute dem gewachsen sind.
Ich glaube vielmehr, daß die seit ein paar Jahrhunderten an den
Wohlfahrtsstaat gewöhnten Menschen darauf warten, daß sie
ärztliche Hilfe und Verpflegung erhalten. Aber Sie sehen ja, wie
machtlos wir allein schon auf Hawaii sind. Und ›Clem‹ wird
zurückkommen, noch bevor wir die Bergungs- und Rettungsarbeiten
überhaupt

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