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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Patient noch immer am Leben ist, nur über eine
begrenzte emotionale Expressivität verfügen. Obwohl er ihn
nun schon seit vielen Jahren kennt, hat Louie noch nie eine
Gefühlsregung bei Wo registriert.
    Schließlich ergreift der Neurologe wieder das Wort:
»Nun, das ist eine interessante Frage. Aber sie transzendiert
die Wissenschaft und geht schon ins Philosophische. Zunächst
würde ich sagen, daß wir alle uns ändern, aber
immerhin besteht eine Kontinuität, und daher werden Sie
zumindest diese Kontinuität wahren. Sie bleiben doch auch dann
noch Louie Tynan, wenn Sie sich die Fingernägel schneiden oder
zum Friseur gehen. Oder? Wären Sie auch nach einer
Herztransplantation noch derselbe? Sie hätten sich aufgrund der
traumatischen Erfahrung zwar verändert, wären aber immer
noch Louie Tynan. Und nach einer Gehirntransplantation? Was ist mit
nur einer Gehirnhälfte? Sind Sie noch derselbe Mensch, wenn sie
zu einer anderen Religion übertreten? Und handelt es sich noch
um dasselbe Computerprogramm, wenn Sie ein Update
installieren?«
    Nun kratzt Louie sich auch am Kopf – wer auch immer dieses
Gespräch mitverfolgt, muß wohl auf den Gedanken kommen,
daß sie beide Läuse haben – und erwidert: »Meine
Antwort auf diese Fragen dürfte wohl sehr vage
ausfallen.«
    »Eine unserer Testpersonen hat im Verlauf der
Optimierungsarbeiten festgestellt, daß sie viel öfter die
Wahrheit sagt – anscheinend hatte sie eine Neigung zu
Notlügen und Schmeicheleien gehabt. Den Freunden dieser Person
ist ihre Verwandlung durchaus aufgefallen, aber alle waren sich
einig, daß es sich noch immer um dieselbe Person handelte, nur
daß sie eben wahrhaftiger geworden war. In anderen Worten, die
Neigung zum Lügen war kein integrales, sondern nur ein
peripheres Merkmal dieser Person, genauso, als ob sie blaue Augen
gehabt oder weiße Hemden bevorzugt hätte. Aber nehmen wir
einmal an, wir würden Viren losschicken, die den Papst in einen
Mormonen verwandeln, einen Ritterkreuz-Träger in einen Deserteur
oder homosexuelle Männer in heterosexuelle Männer. Nehmen
wir außerdem an, wir würden sie in einen völlig neuen
Körper stecken, der zudem nicht einmal den Kriterien eines
menschlichen Körpers entspricht. Würden sie dann immer noch
ihre ursprüngliche Identität besitzen? Haben Sie schon
einmal erlebt, wie ein ursprünglich gesunder Mensch von
Alzheimer oder Schizophrenie befallen wird? Was ist denn mit deren
Identität?«
    In den letzten Minuten hat Dr. Wo mehr mit Louie gesprochen als in
den zwanzig Jahren zuvor. »Für mich ist nämlich
entscheidend, wie sie ihre Situation beurteilen.
    Das ist die einzig sinnvolle Antwort. Wenn man jemanden so
verändert, daß der oder die Betreffende eine neue
Identität annimmt, alle Brücken abbricht und ein ganz neues
Leben beginnt, dann handelt es sich vielleicht um eine andere Person
– aber dieser Mensch wird es selbst vielleicht gar nicht so
empfinden. Und ich bin noch so altmodisch, daß ich es der
jeweiligen Person überlassen möchte, ihre Identität
selbst zu definieren. Aber wie dem auch sei, wenn Sie uns gestatten,
ein paar Tests durchzuführen – einige mit Ihnen und einige
mit den lunaren Rechnern…«
    Louie nickt schluckend und willigt schließlich ein. Nachdem
sie einen Termin vereinbart haben, legt Wo auf.
    Jetzt weiß er es. Der Vorgang ist wahrscheinlich
irreversibel. Er kehrt auf den Mond zurück, schaut sich um und
spürt, daß die Dinge sich erneut verändert und
gleichzeitig auch verbessert haben. Was seine momentane oder
zukünftige Identität betrifft – diese Frage ist mehr
oder weniger relevant. Mehr, weil der Vorgang real ist – er
spürt, wie die Optimierer in ihm schalten und walten; die
Erinnerungen sind von einer lichten Klarheit, und die Konzentration
hat sich verbessert. Weniger, weil er keinen Einfluß darauf
hat.
    Egal, ob er schon Louie 2 oder erst Louie 1.1 ist, er hat einen
Auftrag auszuführen. Mit der Frage, welche Version von Louie er
jetzt darstellt, wird er sich befassen, wenn er Zeit hat.
    Der Start der Nachschubraketen gelingt einwandfrei; er
verfügt jetzt also über ein Startsystem und beauftragt das
aus Computern und Maschinen bestehende Netzwerk, die Konstruktion der
von der Erde hochgeschickten Wettersatelliten zu kopieren. Er
beschließt, ihnen zu sagen, daß sie die
Kompatibilität der Schnittstelle aufrechterhalten, die
restlichen Funktionen aber optimieren sollen… wenn die USSF ihn
anscheinend schon optimiert hat, dann darf

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