Die Mutter aller Stürme
er sie ruhig auch
optimieren. Als er sich in die Constitution zurückzieht,
spürt er im Hinterkopf, wie das Netz dieses Problem in Angriff
nimmt. Bald ist er wieder über dem Pazifik, und sicher wird von
ihm erwartet, daß er einige Aufnahmen macht.
Erst dann erhält er die Nachricht, daß Hawaii fast bis
auf den blanken Fels abgetragen wurde; Schätzungen zufolge sind
in den letzten zwei Tagen neunzig Prozent der Inselbevölkerung
umgekommen, doch diese Zahl basiert auf den spärlichen
Aufklärungsergebnissen der Armee und den Angaben der paar
überlebenden Funkamateure. Es hat auch den Anschein, daß
nicht nur eine, sondern gleich vier Flutwellen über Oahu
hinweggerollt sind.
Carla Tynan hatte sich eigentlich auf eine nette Plauderei mit
Louie gefreut. Als er dann aber anrief, sagte er, daß er wegen
seiner Arbeit an dem ›Großen Projekt‹ – sie
scheut sich, ihn zu fragen, worum es sich dabei handelt; aber was
auch immer er auf dem Mond tut, erfolgt meistens per Fernbedienung
von der Raumstation aus – und wegen all der anderen
Beobachtungen, die er bei dieser und der nächsten
Pazifik-Überquerung durchführen soll, voraussichtlich keine
Zeit hätte. Er würde aber versuchen, sie in den
nächsten Tagen über die Satellitenverbindung zu
erreichen.
Beiläufig fragt sie sich, warum sie sich überhaupt die
Mühe gemacht hat, sich von ihm scheiden zu lassen, wenn sie ihn
vermutlich ohnehin nicht mehr sehen wird.
Dann wird ihr Vorhaben, ungestört zu arbeiten, jäh
zunichte gemacht. Di Callare ruft an, im Hintergrund sein
inkompetenter Chef Henry Pauliss und Harris Diem, der zwar Stabschef
im Weißen Haus, ansonsten aber auch inkompetent ist, und sie
soll dranbleiben, bis sie ihre Besprechung beendet haben.
Offensichtlich konferieren sie mit der Präsidentin, und Carla
kommen viele Gründe in den Sinn, weshalb die Präsidentin
mit ihr sprechen möchte, aber alles, was Carla zu sagen
hätte, könnte in einem fundierten schriftlichen Bericht
viel besser fixiert werden.
Außerdem nagt die ständige
›Telefonbereitschaft‹ an der Konzentration – alle paar
Minuten fragen entweder Di, Pauliss oder Diem nach, ob sie noch dran
sei –, so daß sie in der Zwischenzeit nichts zustande
bringt.
Sie sitzt auf dem Sonnendeck, späht zum weiten Horizont und
genießt die Sonne im Gesicht und auf dem Körper. Sie
erinnert sich, daß sie und Louie im vergangenen Jahr alle zwei
bis drei Tage miteinander gesprochen haben – der
›wöchentliche‹ Anruf, um ›in Verbindung zu
bleiben‹ sowie einige ›ach, und-noch-etwas‹-Meldungen
–, während sie auf See und er im Orbit war; man weiß
eine Sache immer erst zu schätzen, wenn man sie verloren hat.
Jetzt wünscht sie sich sehnsüchtig, einen geruhsamen
Nachmittag mit ihm zu verbringen.
Ihr steht der Sinn nach Konversation, eine seltsame Anwandlung
für eine Einsiedlerin wie Carla Tynan. Vor den hohen Tieren wird
Di keinen Klartext reden (Carla würde interessieren, ob aus
Angst, mißverstanden zu werden, oder gerade weil er
befürchtet, verstanden zu werden?). Schließlich hat sie
Pauliss ihre Kündigung zu verdanken, und jetzt, wo sie gebraucht
wird, ist sie mit den Gepflogenheiten in Washington schon so
vertraut, um zu vermuten, daß er am liebsten ganz weit weg
wäre, wenn das Thema Carla Tynan vor der Präsidentin zur
Sprache kommt. Und Diem ist aalglatt und unverbindlich.
Also wird sich die Unterhaltung um Dis Familie drehen: Lori geht
es gut, und sie hat den Schlächter in Gelb bald fertig;
Mark ist ein braver Junge und Nahum ein altkluger Junge. Dafür
aber nicht besonders brav, vermutet Carla, falls das, was sie
zwischen den Zeilen heraushört, zutrifft.
Diem unterbricht eine Anekdote über Nahum und sagt: »Ist
das wahr – ich habe die Bezeichnung vergessen, aber ich meine
das System, bei dem Sie zusammen mit den Kindern Nickerchen machen
und sie schlafen gehen dürfen, wann sie wollen?« In seiner
Stimme schwingt ein tiefer Schock mit, den zu kaschieren ihm nicht
ganz gelingt.
Di Callare leidet selbst sichtlich an Schlafmangel, denn er raunzt
den mächtigen Mann leicht an: »Ja, es ist wahr, wir leben
nach der Londoner Methode und hatten nie Schwierigkeiten mit dem
Schlafengehen, und die Kinder sind viel ausgeglichener als die
meisten anderen. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß XV
für sie völlig tabu ist und TV nur in Maßen
konsumiert wird.«
Diem nickt griesgrämig. »Es hat wohl wenig Sinn, gegen
Fakten zu argumentieren, und weil ich
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