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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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geben und überhaupt nicht
die geringste Affinität zu Quaz’ intellektuell-dekadenter
Alt-Punk-Attitüde aufweisen).
    Kurz gesagt, er vergißt immer wieder, daß er sich
unter Kontrolle haben muß, wenn er real auf die Netz-Teilnehmer
wirken will. Niemand interessiert sich mehr für die Arbeit
realer Detektive, denn heutzutage besteht ihre Tätigkeit nur
noch darin, Leute in die Falle zu locken und sie zu verhören,
oder was noch wahrscheinlicher ist, sie schreiben lange
Suchprotokolle für Datenspäher, die im Netz
ausgeschwärmt sind und warten auf den Augenblick, in dem eine
Person, ein Geldbetrag oder ein mutmaßlicher Verbrecher ins
große Kollektivbewußtsein des Kapitalismus dringt.
    Das Ganze wird mit dramatischen Phrasen unterlegt, und wenn man
dann noch alle fünf bis zehn Sekunden die Illusion von
Müdigkeit einstreut, wird den Leuten das Gefühl vermittelt,
sie hätten die ganze Nacht mit der Verfolgung von Banditen
verbracht; jemanden bei der Befragung eines verängstigten Zeugen
zu beobachten, ist jedoch nur langweilig, und jemandem zuzusehen, der
am Computer sitzt, ist wirklich sterbenslangweilig. Vor allem dann,
wenn die Leute den Vorgang in Echtzeit miterleben.
    Aber Quaz kapiert das natürlich nicht, und darin liegt das
Problem. Aus unerfindlichen Gründen sperrt der arme Narr sich
gegen die Einsicht, daß er nicht als Reporter im Einsatz ist,
geschweige denn als Detektiv. Nachdem man ihm schon ein neues Gesicht
spendiert und den Bauch operativ gestrafft hat, sollte man eigentlich
annehmen, daß er wüßte, wo es langgeht…
    Diese Gedanken gehen Dennis Ysabel-Garcia, der Quaz von Passionet als spezieller Leibwächter zugeteilt wurde,
durch den Kopf, als er Quaz im Abstand von etwa dreißig Metern
folgt und sein Bewußtsein über einen tragbaren
Anschluß anzapft. Es wird bereits dunkel, und Dennis, der Quaz
die ganze Zeit nachgelaufen ist, langweilt sich und wird zunehmend
gereizter; die Füße tun ihm weh, und die Kleidung ist
schon ganz staubig und verschwitzt. Quaz ist weiß Gott nicht
das ideale Objekt für einen Leibwächter – Rock und
Synthi Venture sind immer höflich und weichen nicht vom
markierten Pfad ab; sogar der Neuen, Surface O’Malley, gelingt
es trotz ihres marionettenhaften Enthusiasmus, sich an die
Anweisungen zu halten.
    Ein paar Blocks weiter sind Schüsse zu hören. Dennis ist
nur erschrocken, aber nicht überrascht, als Quaz kehrtmacht und
auf den Schauplatz zurennt, obwohl es ihm vom hiesigen
Sicherheitsbüro streng untersagt worden ist. Dennis läuft
Quaz nach und biegt nach mehreren Ecken in eine Seitenstraße
ein, die nur an der Einmündung zu einem langen Häuserblock
sicher ist…
    Die Demonstration findet vor der Moschee statt und scheint von
einer der Fundamentalistengruppen organisiert worden zu sein, die
heutzutage immer Gewehr bei Fuß stehen, wenn irgendwo in der
islamischen Welt eine Herrscher-Dynastie von einem Skandal
erschüttert wird. Die Demonstranten verbrennen Bilder ihres
UN-Botschafters, der auch auf Kliegs Gehaltsliste stand; dann
stürzen sie sich auf eine Gruppe von Abdulkashim-Anhängern,
die hier gegen die Lügen demonstrieren wollten, welche die
westlichen Medien über ihren Führer verbreiteten. Im
nachhinein weiß niemand mehr genau, wie es zum
Zusammenstoß der beiden Gruppen kam; die plausibelste
Erklärung ist wohl die, daß alle Beteiligten der Ansicht
waren, das Zusammentreffen zweier verschiedener Demonstrationen auf
einem Platz sei schon Grund genug für einen Kampf.
    »Die ersten Schüsse wurden vom ersten Polizisten
abgegeben, der auf der Bildfläche erschien. Ich glaube, er hat
in die Luft geschossen, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit der Leute
auf sich zu ziehen. Dann hat jemand ihn erschossen. Jetzt zerstreut
sich die eine Hälfte der Demonstranten und verläßt
den Platz, und die andere Hälfte muß wohl zu dem
Schluß gekommen sein, daß Plünderungen der beste
Auslöser für einen Aufstand seien«, flüstert der
Sicherheitsbeauftragte in Dennis’ Bewußtsein. »Was
hat dieser gutaussehende Trottel dort zu suchen? Wir müssen ihm
sagen, er soll abbrechen und zurückkommen.«
    Soviel bekommt Dennis gerade noch mit, während er hinter Quaz
herrennt, der in seiner typischen Naivität die beiden Seiten
fragt, worum es bei diesem Kampf denn überhaupt gehe. Weil
anscheinend keiner der Anwesenden der englischen Sprache mächtig
ist, spricht er nun laut und langsam und gestikuliert wild herum.
    Dennis hat den im Zwielicht liegenden

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