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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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daß jemand zuhören würde.
Der ganze Vorgang läuft als Endlosschleife ab.
    Das Klopfen an der Tür ist erstaunlich sachte. Die beiden
Männer sind adrett und gepflegt und nehmen seine Erklärung
bezüglich der schon gepackten Tasche, »in diesen unsicheren
Zeiten, Sie wissen schon«, kommentarlos zur Kenntnis. Sie legen
ihm nicht einmal Handschellen an und bringen ihn direkt zum
Regierungszentrum.
    Eigentlich hatte er den Regierungs-Rat erwartet; er hätte
nicht damit gerechnet, daß Abdulkashim telefonisch mit ihnen
sprach. Aber das ist er, überlebensgroß, wobei seine
berühmte Ähnlichkeit mit Stalin durch die
Gefängniskluft noch etwas prononciert wird. Abdulkashim spricht
Russisch, noch immer die sibirische lingua franca, doch dann entdeckt
Klieg an seinem Kopfhörer Einstellungen für Englisch,
Deutsch, Japanisch, Spanisch, Chinesisch, Arabisch, Jakutisch,
Burjatisch und einige andere regionale Sprachen. Natürlich
weiß Klieg schon vorab, was besprochen wird, wenn nicht
wörtlich, so doch in groben Zügen, und so überlegt er,
ob er nicht in eine ihm unbekannte Sprache reinhören soll.
Letztlich tut er das dann doch nicht, denn er muß das
Gespräch wegen des Zeitplans mitverfolgen.
    »Meine Herren Regierungs-Räte, werte ausländische
Besucher und Regierungschefs, ich entbiete Ihnen meine
Grüße. Wie Sie sicher bereits wissen, haben mich
kürzlich loyale Einheiten der sibirischen Armee und Luftwaffe
aus dem Gefängnis befreit, in dem ich illegal inhaftiert war.
Ich betrachte es als eine ausgesprochen pikante Ironie, daß
meine Befreiung aus dem politischen Gefängnis der UN in
Stockholm unter dem Schutz eines der vielen Hurrikane erfolgt ist,
die durch den absolut illegalen, brutalen, unbegründeten und
umweltschädlichen UN-Angriff auf unsere Streitkräfte am
neunten März dieses Jahres verursacht wurden.
    Ich vertraue nun darauf, daß meine sibirischen Landsleute
erkennen, daß meine Warnungen bezüglich der Infamie
fremder Mächte im allgemeinen und der Vereinten Nationen im
besonderen gerechtfertigt waren. Aber ich vertraue auch darauf,
daß mein Volk die Weisheit unserer Entscheidung erkennt,
daß unsere Nation sich fremden Unternehmen öffnet, denn
ungeachtet unserer Differenzen mit den Vereinigten Staaten ist es ein
amerikanischer Staatsbürger, Mr. John Klieg, der uns heute abend
in die Lage versetzt hat, unsere rechtmäßige
Unabhängigkeit zu behaupten. Seit heute abend ist Sibirien als
einzige Nation der Welt imstande, von der Erde aus eine Nutzlast ins
All zu befördern, und wir sind bereit, diese Fähigkeit in
den Dienst der ganzen Menschheit zu stellen. Sibirischer Genius, wie
Sie sich wohl denken können…«
    Nicht ein einziger Sibirer gehört dem Entwicklungsteam an,
denkt Klieg. Wieder so ein Punkt, über den er nachdenken
muß, während der Große Mann
weiterschwadroniert…
    »…hat es ermöglicht, die schreckliche Geißel
der Super-Hurrikane zu besiegen, und wir sind zum sofortigen Handeln
bereit, wenn unseren berechtigten Forderungen, die allzu lange von
den internationalen Gerichten mißachtet wurden, entsprochen
wird. Sobald unsere rechtmäßigen territorialen
Ansprüche anerkannt werden und eine angemessene
Entschädigung von Nationen gezahlt wird, die wir im einzelnen
noch benennen, werden wir die Wirbelsturmgefahr umgehend
eliminieren.«
    Klieg setzt sich aufrecht hin und mimt Aufmerksamkeit, eine
Taktik, die er damals als Verkäufer entwickelt hatte. Er ist
aber der Ansicht, daß jeder Geschäftsmann der Welt,
zumindest jeder erfolgreiche, notfalls auch dazu in der Lage ist.
Natürlich wird es fast ein Jahr dauern, bis so viele Ballons in
der Luft sind, um eine Entspannung der Lage herbeizuführen. Er
fragt sich, ob Abdulkashim das wirklich nicht weiß oder ob er
es doch weiß und es nur verschweigt. Im Grunde ist es auch
egal. Abdulkashim verlegt sich jetzt nämlich auf Drohungen.
    »Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, daß die
Startanlage von unseren Truppen umstellt ist und daß kein
Angreifer, wie stark er auch sein mag, die Einrichtungen in intaktem
Zustand in die Hände bekommt. Als Entwicklungsland fordern wir
das Recht ein…«
    Von außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera ertönt
ein Schrei. Die Augen des Diktators weiten sich; er dreht sich um und
sagt etwas. Dann wackelt das Bild und verschwindet.
    Klieg hatte recht; das ist das Stichwort. Aus einem halben Dutzend
Verstecken im Raum bringen die ›Moderaten‹ des
Regierungs-Rates – alle Leute, die

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