Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
vor; zum einen hat er im Grunde recht, und
viele der hier Anwesenden wissen das auch, so daß sie ihn nicht
einfach herunterputzen kann. Zum zweiten betreibt er fast schon
Insubordination, was sowohl mit Strategie als auch mit Ungeduld
erklärt werden könnte, aber wie dem auch sei, sie darf ihm
das nicht durchgehen lassen. Sie kennt Bricker jetzt schon
ungefähr ein Jahr, und deshalb tippt sie auf Strategie;
vielleicht will er sich als der Mann profilieren, der die Ehre der
Streitkräfte gegenüber Präsidentin Großmutter
verteidigt hat, ein aufrechter Soldat, der kein Blatt vor den Mund
nimmt und sich somit als Kandidat für die nächsten
Präsidentschaftswahlen empfiehlt.
    Was aber nicht besagt, daß er nicht recht hätte.
    Sie muß der Sache Einhalt gebieten. »Das Problem wurde
zur Kenntnis genommen«, sagt sie also. »Bitte nehmen Sie
auch zur Kenntnis, daß ich von nun an bei jedem Alternativplan
oder sonstiger Einsatzplanung, die mir vorgelegt wird, über die
Möglichkeit eines clusterfuck informiert werden
möchte. Wir werden das…« – sie lächelt ihn
an – »als Bricker-Bestimmung bezeichnen, um Sie
entsprechend zu würdigen. Passen Sie aber auf, daß Sie die
Terminologie nicht beschönigen, General. Wenn Sie mich auf die
Möglichkeit eines clusterfuck hinweisen, erwarte ich,
daß diese Bezeichnung auch in den Berichten
auftaucht.«
    »Zur Kenntnis genommen«, sagt Bricker. Seine Reaktion
ist unergründlich; vielleicht genügt es ihm schon, das
Problem überhaupt angesprochen zu haben, mit größerer
Wahrscheinlichkeit aber überlegt er sich bereits den
nächsten Zug.
    Drei Minuten später trifft die Meldung ein. Die Sibirer
hatten ausreichend Zeit. Sie haben die Starttürme vernichtet,
die Kontrollräume und die unterirdischen
Beschleunigungsröhren, die Klieg für Allwetter-Starts
vorgesehen hatte. Wenn überhaupt noch mit Hilfe zu rechnen ist,
dann nur von Louie Tynan.
     
    Am 16. August, einem Mittwoch, hat Louie sich so weit von der Erde
entfernt wie kein anderer Mensch vor ihm. Anhand der Daten, die ihm
von Louie-auf-dem-Mond übermittelt werden, haben sich mindestens
eine halbe Milliarde Menschen, die vor der Ausgabe der Haarnetze
keinen Zugang zu XV hatten, in Synthi Venture eingelinkt und
verbringen nun den ganzen Tag damit, Nachrichten zu hören und
sie auf dem Marsch zu begleiten. Die Zerstörung von Kliegs
Weltraumzentrum scheint nur zu einem kurzfristigen Aufflackern von
Unruhen geführt zu haben, was überwiegend darauf
zurückzuführen ist, daß Synthi Venture in ihrer Rolle
als Multiplikator Plünderungen und Kämpfe schärfstens
verurteilte.
    Aus unerfindlichen Gründen haben Hardshaw, Rivera und alle
anderen Verantwortlichen entschieden, die Medien nicht über die
Expedition zu 2026RU zu unterrichten; die Geheimhaltung fällt
aber schwer. Wenn es Carla nicht gelungen wäre, Jameson (und das
Dutzend Nachahmer, das sie bereits hat) im Netz aufzustöbern,
wäre das Geheimnis schon lange keines mehr.
    Louie fragt sich, warum man die Mission als Verschlußsache
behandelt und den Anschein erweckt, die Erde sei verloren, obwohl das
gar nicht der Fall ist. Vielleicht liegt es daran, daß er tot
ist. Er versteht aber wirklich nicht, weshalb sie das gegen ihn
verwenden sollten. Schließlich müffelt er ja nicht.
    Ihm ist jedoch schon aufgefallen, daß offenbar niemand mehr
direkt mit ihm kommunizieren will, und seine Komponenten auf dem Mond
und den Asteroiden bestätigen diese Einschätzung. Macht es
sie nervös, daß er tot und dennoch lebendig ist? Oder
daß er ihnen die Illusion eines lebenden Menschen
vorgaukelt?
    Er fragt sich, ob er sich im Universum einsamer fühlen wird,
als er anfangs gedacht hatte, weil nämlich nur die
allerwenigsten Leute Freundschaft mit einem Toten pflegen wollen.
    In ihrem letzten Brief hat Carla ihn des Selbstmitleids geziehen.
Vielleicht sollte er einmal Selbstkritik üben.
    Alles ist gut, solange er nicht einsam ist.
    Mittlerweile ist seine Prozessorkapazität so groß,
daß er sein lunares Ich um alle verfügbaren Daten bittet,
und auf der Erde sind noch genügend Systeme aktiv, um seinen
Wissensdurst zu befriedigen. Er bekommt Zugriff auf die
Kongreß-Bibliothek und erwägt ernsthaft, alle Bücher
durchzulesen; er bekommt Wetterberichte und Satellitendaten, Rohdaten
von Universitäts-Instituten, manche davon auf Video – und
die gefallen ihm am besten. Obwohl er weiß, daß die
Kameras entweder manuell oder automatisch geführt wurden,
genießt er das

Weitere Kostenlose Bücher