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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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kontrastierte, und Lynn stellt sich vor, daß sie, wenn
das alles vorbei ist, sich einfach entschließen könnte,
dorthin zu fahren und selbst auf einer Bank in der Sonne zu
sitzen.
    Sie hofft, daß das nicht zu der Milliarde Menschen
durchdringt, denn sie ist sich nicht sicher, ob sie dabei viel
Gesellschaft haben möchte.
    »Jesse«, fährt sie fort, »nur damit die Leute
es wissen: die provisorische Hauptstadt der Vereinigten Staaten ist
Charleston in West Virginia. Sobald wir ein Transportmittel bekommen,
werden wir versuchen, nach Nordwesten auszuweichen, vielleicht nach
Pierre, Süd-Dakota. Dort gibt es die Infrastruktur, die wir
benötigen, und außerdem sind die Schäden nicht so
stark. Denjenigen unter euch, die sich noch immer Sorgen machen,
möchte ich nur sagen, daß soeben die ersten
verläßlichen Berichte aus dem Rest der Vereinigten Staaten
und der übrigen Welt bei uns eintreffen. Satelliten-Radarbilder
zeigen, daß große Teile von Florida verschwunden sind,
und wir haben nur lückenhafte Berichte aus dem Norden des
Landes. Wir glauben, daß der St.-Lawrence-Strom durch das
Mohawk-Tal gebrochen ist und nun über den Hudson ins Meer
fließt. Manhattan wurde noch nicht ins Meer gespült, aber
in den wenigen Gebäuden, die noch existieren, steht das Wasser
bis zum vierzigsten Stockwerk.
    Kalifornien und die Westküste sind bis hinauf zu den Sierras
verwüstet. Zweifellos leben westlich der Sierras noch Millionen
von Menschen, und die Gouverneure der Bergstaaten richten
Auffangstationen an den Highways ein und werden – hoffentlich
– imstande sein, in der nächsten Zukunft verstärkt
Rettungsoperationen über die Berge durchzuführen.
Gegenwärtig kann man jedenfalls in diesen Regionen bleiben, bis
man ein Transportmittel findet, das nach Osten fährt. Jenseits
der Berge gibt es Sicherheit, Lebensmittel und ein Obdach.
    Außerdem möchte ich jede Nation und jedes Gremium, das
auf die Schwächung unseres Landes durch das Unwetter spekuliert,
darauf hinweisen, daß die Vereinigten Staaten auf keinen
Fußbreit ihres Territoriums verzichten werden und wir jedes
unautorisierte Eindringen jedweder ausländischer
Streitkräfte in dieses Territorium mit dem Einsatz unserer
Streitkräfte beantworten werden.
    Schließlich wünsche ich euch allen alles Gute, und
werde selbst nach besten Kräften meine Aufgabe erfüllen,
bis ich durch einen Beschluß des Kongresses davon entbunden
werde. Gute Nacht und alles Gute.«
    Sie fühlt, wie Mary Ann emotional reagiert, und es ist eine
gute Reaktion, die anzeigt, daß Lynn anscheinend den richtigen
Ton getroffen hat.
    Sie spricht noch ein wenig mit Jesse; die große
Menschenmenge schlängelt sich weiter auf Monte Alban zu. Der
Regen ist wenigstens warm und läßt während ihrer
Wanderung nach; sie weiß, daß tausenderlei Dinge ihre
Aufmerksamkeit erfordern, aber auch wenn sie erhitzt und verschwitzt
ist, gefällt es ihr, sich in einem jungen Körper zu
befinden, einen Berg in einem merkwürdigen Land zu erklimmen und
sich zu fragen, woran die Menschen in ihrer Umgebung denken. Trotzdem
fühlt sie, daß Mary Ann ein bißchen ungeduldig wird,
weil sie einen nicht nur passiven Passagier hat, und, in aller
Fairneß, es ist schließlich Mary Anns Leben. So kehrt
Brittany Lynn Hardshaw mit einem Seufzer und einem letzten dankbaren
Blick auf Mary Ann, in den dunklen, stürmischen Nachmittag von
Charleston in West Virginia zurück.
    Die Trupps mit Bulldozern und Sandsäcken gewinnen langsam die
Oberhand; die Straßen sind zwar noch reißende
Ströme, aber bereits kontrollierte Ströme, und sie drohen
nicht länger die Sandsackwälle zu überfluten.
Irgendwann in den letzten Minuten sind rund ein Dutzend Nachrichten
aus der Stadt eingegangen, wonach Charleston gerettet wird und somit
auch die Regierung der Vereinigten Staaten. Die Regierung steht nach
wie vor in Kontakt mit Tausenden kleiner, überall verstreuter
Büros und mit ungefähr der Hälfte der
Militärstützpunkte.
    Lynn erhebt sich stöhnend und nimmt eine weitere Tasse Kaffee
sowie viele Worte des Lobes für ihre Rede entgegen. Sie sagt
sich, daß die Vereinigten Staaten nach Fläche und
Bevölkerung die Vereinigten Staaten Abraham Lincolns noch immer
bei weitem übertreffen. Und wenn der Sturm aufhört –
und Louie und Carla sagen, daß er aufhören wird –
wird es wieder eine ›Grenze‹ geben, nämlich die leeren
Gebiete zwischen den Bergen und der Küste. Vielleicht ist der
alte Pioniergeist noch immer in den
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