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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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zur
Unkenntlichkeit verfälscht.
    Das Aufregendste, was er diesen Monat zu tun hatte, war die
Entzündung einer Methanwolke auf Ersuchen der UNSOO.
    Andererseits, die Verpflegung schmeckt ihm noch immer –
wesentlich besser als auf dem Flug zum Mars –, und das Panorama
ist einfach unübertroffen. Vielleicht wäre das es doch
wert, weiterzuleben und zu arbeiten, überlegt er. Er schaut zu
einem der Monitore hoch, stößt einen herzhaften
Rülpser aus, der das Zwerchfell zum Vibrieren bringt und nach
Geflügelleber und rohen Zwiebeln stinkt, setzt ein breites
Grinsen auf und geht wieder zum Teleskop zurück, um die
nachmittägliche Arbeit zu erledigen.
     
    Was hast du denn jetzt wieder angestellt, Brittany
Lynn?
    Brittany Lynn Hardshaw, Präsidentin der Vereinigten Staaten,
erinnert sich, daß, als sie noch ein Kind war, ihr Vater fast
jeden Tag diese Frage gestellt hatte, und in der Regel erfolgte dann
eine Antwort wie »das alte Motoröl in der Scheune«
oder »eine offene Farbdose«. Es ist halb neun morgens, und
sie liest den vertraulichen Bericht der NOAA durch, den Harris Diem
ihr letzte Nacht zugestellt hat und fragt sich, ob sie dem Schreiben
überhaupt Glauben schenken soll.
    Das Problem ist, daß es lange gedauert hatte, bis sie mit
Diem als rechter Hand die Regierung unter Kontrolle bekam… und
nun weiß sie nicht, ob es überhaupt noch jemanden gibt,
der ihr die Wahrheit sagt. Und gerade auf die ist sie jetzt
angewiesen.
    Sie erhebt sich, geht zum Fenster und schaut auf die Pennsylvania
Avenue hinaus. Als sie nach dem Blitz rekonstruiert wurde,
sperrte man den Verkehr weiträumig aus, offiziell aus
ökologischen Gründen, wobei der eigentliche Grund jedoch
der war, Nuklearterrorismus gegen das Weiße Haus und das
Capitol und damit eine Lähmung des Landes zu verhindern.
    Der andere Teil des Blitzes, die Bombe, die hundert
Kilometer über Kansas City explodierte, würde diesmal wenig
ausrichten; alles ist gehärtet und in Faradaysche Käfige
gepackt, und die Nachrichtenübermittlung erfolgt über
Glasfasern.
    Aber das Herz der Regierung ist dennoch ständig verwundbar,
überlegt Hardshaw. Wir sind aus Fleisch und Blut. Wir
müssen Kontakt zu vielen tausend Menschen halten.
    Die Straße unter ihr wimmelt vor Fußgängern, die
meisten mit Aktenkoffern, und alle wuseln wie Ameisen durcheinander.
Wenn nur drei von ihnen die Komponenten einer KAMS-Bombe bei sich
trügen, könnten sie heute morgen die Bundesregierung
auslöschen, und niemand könnte sie aufhalten. Wenn sie es
wieder versuchten, würden sie diesmal aber vielleicht ihre
Identität verraten oder zumindest das Tatmotiv.
    Vor ihrem geistigen Auge sieht Hardshaw, wie Washington aus den
Sümpfen entsteht, einige Jahre später von den Briten
niedergebrannt wird und wieder voller Handel und Wandel ist, als
Präsident Lincoln aus dem Haus schaut, das einmal hier stand,
dann in der Bedeutungslosigkeit versinkt, bevor die Stadt wieder
expandiert, während der Wirtschaftskrise, des Weltkrieges und
Kalten Krieges zu einer Großstadt explodiert, daraufhin bis zum Blitz zu einem einzigen Slum verkommt und schließlich
wie Phönix aus der nuklearen Katastrophe steigt…
    … und zur provinziellen Hauptstadt der UN arriviert, wie sie
sich eingesteht. Nicht, daß sie ihren Vorgängern deswegen
einen Vorwurf machen würde, genauso wie sie hofft, daß die
beiden noch lebenden Ex-Präsidenten ihr keinen Vorwurf
machen.
    Ich freue mich auf den Rücktritt, denkt sie. Es ist
lange her, seit sie als Kind mit schmutzigem Gesicht in einem
Wohnmobil auf einer unbefestigten Straße in den Bergen von
Idaho lebte, bei dem Blockhaus, zu dessen Fertigstellung ihr Vater
sechs Jahre benötigte – nicht ungewöhnlich für
einen Mann, der eine Teilzeitstelle hatte und ein Vollzeittrinker
war. Es ist lange her, seit sie als weiße
Unterschicht-Studentin an einer drittklassigen Universität
studierte und danach den Überraschungscoup landete,
Generalstaatsanwältin von Idaho zu werden…
    In Ordnung, Präsidentin Großmutter, die Memoiren
kannst du später auch noch schreiben. Ihre Amtszeit
läuft nämlich schon in zehn Monaten ab. Frage mich, ob
XV überhaupt über die Wahlen berichtet? Die
Präsidentschaft der Vereinigten Staaten ist nicht mehr mit
großer Verantwortung verbunden. Die Republikaner haben einen
Niemand aus Hawaii nominiert, den Burschen, den Hardshaw zum
Wirtschaftsminister ernannt hatte; die Demokraten haben einen
ehemaligen Gouverneur von New York nominiert, die

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